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Debatte in Italien: Ohne Laborfleisch geht es nicht!

Italiens Regierung will Laborfleisch per Gesetz verbieten. Das ist an Unvernunft und Ignoranz kaum zu überbieten, kommentiert Katharina Menne. Mit Blick auf Tierwohl und Klimawandel ist die Suche nach Fleischalternativen unumgänglich.
Verschiedene Arten italienischer Salami und Wurst
Letztlich besteht auch echte Wurst nur aus pürierten, gepressten und gewürzten Muskel- und Fettzellen. Wer es nicht besser weiß, würde den optischen Unterschied zu Laborfleisch vermutlich gar nicht erkennen.

Für die einen ist es eine Möglichkeit, künftig Fleisch zu essen, ohne Tiere töten zu müssen oder das Klima unnötig zu belasten. Andere sehen darin eine Bedrohung traditionell hergestellter Produkte und jahrhundertealter Esskultur. Am Laborfleisch scheiden sich die Geister – und das, bevor es derartige Produkte überhaupt in großem Stil gibt. Die italienische Regierung hat am 16. November nach monatelanger Diskussion einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Herstellung und den Verkauf von im Labor kultiviertem Fleisch verbietet. Zudem sollen alltagsnahe Begriffe für pflanzliche Alternativprodukte wie zum Beispiel »Veggie-Wurst« nicht mehr verwendet werden dürfen. Verstöße werden dem Gesetz zufolge dann mit Geldstrafen von bis zu 60 000 Euro sowie der Beschlagnahme von Ware geahndet.

Es ist eines der Vorzeigeprojekte der Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – und in einer Welt, in der über Klimawandel, Massentierhaltung, Artensterben und Ernährungssicherheit diskutiert wird, an Unvernunft und Ignoranz kaum zu überbieten. Ja, Mortadella und Salame Milano sind weltweit bekannte und beliebte Produkte. Aber wer sagt, dass dafür ein Tier verwurstet werden muss? Selbst das gepriesene Original besteht doch letztlich nur aus pürierten, gepressten und gewürzten Muskel- und Fettzellen. Wer es nicht besser weiß, würde den optischen Unterschied zu Laborfleisch vermutlich gar nicht erkennen.

Um Fleisch im Labor herzustellen, werden lebenden Tieren pfefferkorngroße Gewebeproben entnommen und die daraus extrahierten Stammzellen in eine Kulturflüssigkeit aus Fetten, Aminosäuren, Vitaminen, Mineralien und Zucker gegeben. Dort vermehren sie sich und wachsen zu Muskel- und Fettgewebe heran. Das auf diese Weise gezüchtete Fleisch lässt sich anschließend zu größeren Strukturen zusammensetzen. Der Vorteil: Geschmack und Inhaltsstoffe sind wie beim Original, ohne dass dafür Tiere in großem Stil sterben müssen.

Diese Zellkulturverfahren stecken allerdings noch in den Kinderschuhen, sind kostspielig und benötigen derzeit noch recht viel Energie. Mit wachsenden Produktionsmengen sollen sich diese Probleme jedoch überwinden lassen, heißt es etwa in einer Studie des The Good Food Institute. Eine zusätzliche Herausforderung: Bislang enthält das Nährmedium noch Wachstumsfaktoren, die aus dem Blut ungeborener Kälber stammen. Das widerspricht der Vorstellung, Laborfleisch sei völlig frei von Tierleid. An gänzlich tierfreien Alternativen wird jedoch bereits erfolgreich geforscht.

Zwischen Tradition und Zukunft

Bei dem Verbot von Laborfleisch geht es Georgia Meloni und ihren Mitstreitern nach eigener Aussage vor allem um den Schutz der italienischen Tradition, der italienischen Küche und deren Produkten sowie darum, Italiens Kultur zu verteidigen. Insbesondere die Agrarvereinigung Coldiretti, ein Lobbyverband der italienischen Landwirte, unterstützt das Gesetzesvorhaben. Kein Wunder: Italiens Viehzucht ist wirtschaftlich bedeutungsvoll. 2022 verkaufte die Branche Rindfleisch- und Schweinefleischprodukte im Wert von 6,3 Milliarden beziehungsweise 8,4 Milliarden Euro. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida hatte das Gesetz im Vorfeld mit Verve vertreten. Es diene dem »Schutz der menschlichen Gesundheit und des landwirtschaftlichen Erbes«, sagte er der »Neuen Zürcher Zeitung« zufolge.

Wer kann ernsthaft behaupten, der Verzehr von Hähnchen, die mit Antibiotika vollgestopft dicht an dicht gehalten werden, sei der menschlichen Gesundheit auf Dauer zuträglich?

Doch wer kann ernsthaft behaupten, der Verzehr von Hähnchen, die mit Antibiotika vollgestopft dicht an dicht gehalten werden, sei der menschlichen Gesundheit auf Dauer zuträglich? Vom tierischen Wohlbefinden einmal ganz zu schweigen. Oder dass die Aufzucht von Schweinen, denen die Schwänze abgeschnitten wurden, die nie das Tageslicht gesehen haben und denen teils bei noch lebendigem Leib die Kehle durchgeschnitten wird, ein schützenswertes landwirtschaftliches Erbe ist?

Im Kern erinnert die gesamte Debatte an die Rede der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel, die bei einem Volksfest im bayerischen Gillamoos im September skandierte, sie lasse sich ihr Schnitzel nicht wegnehmen: »Niemand geht an mein Schnitzel!« Weidel bezog sich damit auf die angebliche Verbotskultur der Grünen-Fraktion. So gab es vor etlichen Jahren den Vorschlag, in Kantinen »Veggie Days« einzuführen, also fleischfreie Tage, um den Fleischverzehr in Deutschland einzudämmen. Dass ein Mehr an Gemüse und ein Weniger an Fleisch tatsächlich das Risiko für Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Beschwerden senken kann, und Weidel ihren Wählerinnen und Wählern mit ihrer Anpreisung des Schnitzels somit eher einen Bärendienst erweist, hatte ihr wohl vorab niemand gesagt.

Weidel und Meloni erweisen ihren Anhängern einen Bärendienst

Auch aus Sicht von Umweltschutz und Klimawandel tun Meloni und Weidel ihren Wählern keinen Gefallen. Derzeit leben mehr als zehnmal so viele Nutztiere auf der Erde wie es Menschen gibt. Allein in Deutschland war die Tierhaltung im Jahr 2022 laut Umweltbundesamt für mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen des Agrarsektors verantwortlich und für gut fünf Prozent der deutschen Gesamtemissionen. Zudem werden 77 Prozent der Ackerflächen auf der Erde für die Fleisch- und Milchproduktion verwendet, obwohl tierische Produkte gerade einmal 18 Prozent des weltweiten Kalorienbedarfs decken. Das Good Food Institute verweist auf eine Studie, laut der die Herstellung von Fleisch aus dem Labor verglichen mit herkömmlicher, industrieller Fleischproduktion auf globaler Skala bis zu 93 Prozent weniger Treibhausgase erzeugt, 95 Prozent weniger Land benötigt und 78 Prozent weniger Wasser verbraucht. Würde man sich dem Laborfleisch und anderen alternativen Produkten gegenüber öffnen, könnte man zumindest einen Teil dieses enormen Ressourcenverbrauchs reduzieren.

Besonders absurd wirkt die Debatte auch vor dem Hintergrund, dass es Laborfleisch-Produkte auf dem europäischen Markt noch gar nicht zu kaufen gibt

Besonders absurd wirkt die Debatte auch vor dem Hintergrund, dass es Laborfleisch-Produkte auf dem europäischen Markt noch gar nicht zu kaufen gibt – und das, obwohl ein Niederländer als Vorreiter und Vater der Laborfleisch-Idee gilt. Im Jahr 2013 stellte Mark Post, Professor für Gefäßphysiologie an der Universität Maastricht und Gründer des Start-ups Mosa Meat, die erste im Labor gezüchtete Burger-Frikadelle vor. Damals war zwar das Medieninteresse groß, der Geschmack seiner Produkte jedoch noch wenig überzeugend. Auch Struktur und Konsistenz entsprachen nicht der gewohnten Festigkeit von echtem Fleisch.

Laborfleisch in Singapur | Dieses Hühnchenfleisch hat nie ein Tier von innen gesehen. Es ist in einem Bioreaktor aus Stammzellen gezüchtet worden.

Vermutlich möchte Georgia Meloni einer möglichen Zulassung in der EU zuvorkommen und die Debatte rechtzeitig anstoßen. Denn während in Singapur und den USA Laborfleisch bereits vereinzelt verkauft werden darf, ging bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erst im September 2023 ein solcher Antrag ein. Das Unternehmen The Cultivated B aus Heidelberg strebt die Zulassung für ein so genanntes hybrides Wurstprodukt an. Die Wurst ähnelt demnach der in einem Hotdog verwendeten Brühwurst und besteht aus veganen Zutaten sowie zellbasiertem Schweinefleisch, das im Bioreaktor gezüchtet wurde. Das Zulassungsverfahren für solche Produkte fällt unter die Novel-Food-Verordnung, ist langwierig und unterliegt strengen Maßgaben. Nach Schätzungen von Branchenexperten kann die Entscheidung gut 18 Monate dauern.

Am Ende ist es aber möglicherweise ohnehin eine Scheindebatte: Denn tatsächlich müsste Italien seine Gesetzgebung wohl in dem Moment anpassen, in dem EFSA den Verkauf gestattet. Die europäischen Binnenmarktregeln verhindern, dass ein Land einseitig den Verkauf eines in der übrigen Union zugelassenen Lebensmittels verbietet.

Riccardo Magi, Abgeordneter von der Partei Più Europa, bezeichnete den Schritt deswegen als »antiwissenschaftlich und antieuropäisch«. Mehrere Tierschutzverbände nannten die Entscheidung ein »ideologisch getriebenes Verbot«. Man könnte auch sagen, es ist ein idiotisches Verbot.

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