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Lexikon der Biochemie: immobilisierte Mikroorganismen

immobilisierte Mikroorganismen, lebende Mikroorganismen (wachsende oder ruhende Zellen), die überwiegend an Träger fixiert und in dieser Form biologisch aktiv sind. Die Immobilisierungsmethoden sind prinzipiell auch auf andere Zellen, Organellen und Enzyme (immobilisierte Enzyme) anwendbar:
1) Adhäsion (Adsorption) und Bewuchs an Träger: Dies ist die klassische Art der sog. passiven Immobilisierung, die zum mikrobiellen Bewuchs (Biofilm) führt und in der Natur häufig (auch unerwünscht) auftritt. Am Zustandekommen der Adhäsion sind außer van-der-Waals-Kräften noch andere Bindungskräfte (hydrophobe Wechselwirkung, Wasserstoffbrückenbindung und ionische Bindungen) beteiligt. Die Adsorptionsfähigkeit hängt von der chemischen Zusammensetzung, Gesamtladung und dem Alter der Zellen ab sowie von der Ladung, Zusammensetzung, aber auch Porosität des Trägers. Als Träger können verschiedene Materialien dienen, u. a. Glas, Titan- und Zirkondioxid, Cellulose, Nylon, Polyvinylalkohol usw.
Für die kovalente Bindung der Zellen an Träger liegen nur wenige Beispiele vor.
2) Aggregation bzw. Agglomeration – intrazelluläre Vernetzung der Zellen: Hierbei werden prinzipiell keine wasserunlöslichen Träger benötigt: Man unterscheidet dabei zwischen der natürlichen (Flockung von Bakterien, Pelletbildung bei Pilzen) und der künstlichen Aggregation. Letztere wird erreicht durch a) Flockung, die auf physikalisch-chemischen Wechselwirkungen unter Einbeziehung von Flockungsmitteln (z. B. anionische oder kationische Polyelektrolyte, die die Oberflächenladung beeinflussen) beruht, b) Quervernetzung über bifunktionelle Agenzien (vor allem Glutaraldeyd).
3) Einschluss in Polymermatrix: Für die Immobilisierung von Zellen durch Einschluss verwendet man neben synthetischen (vor allem Polyacrylamid) natürliche Polymere (Polysaccharide oder Proteine). Die Biopolymerperlen, in denen die Zellen eingeschlossen sind, werden entweder durch Chelatisierung (Ca2+) oder durch Quervernetzung (Glutardialdehyd) "gehärtet".
Bei den Einschlussverfahren sind die Poren des "Trägers" kleiner als die Größe der Mikroorganismen. Diese verbleiben somit innerhalb des Einschlusses, während Substrate und Produkte ein- bzw. austreten können.
4) Einkapselung in Membranen: Hierbei kann zwischen der Einkapselung in feste und flüssige (fluide) Membranen unterschieden werden. Feste Membranen werden aus einer vorgefertigten Membran (Membranreaktoren, z. B. Hohlfasermembranreaktor) gebildet, oder aber die Membran wird unmittelbar um die Zellsuspension herum ausgebildet (Mikrovmhkapselung). Flüssige Membranen werden durch die Phasengrenze zwischen zwei nicht mischbaren flüssigen Phasen gebildet.
Eine ideale Immobilisierungsmethode für alle Mikroorganismen und Anwendungsgebiete existiert nicht. Die Funktionsfähigkeit bzw. der physiologische Zustand der Zellen wird durch die Immobilisierung beeinflusst. Unabhängig davon weisen immobilisierte Zellen zahlreiche Vorteile auf, wie etwa die leichtere Zellabtrennung und Zellrückhaltung. Von Vorteil ist auch, daß sich die Enzyme in ihrem natürlichen Mikromilieu befinden und so oft eine höhere pH-, Temperatur- und Operationsstabilität besitzen. Außerdem sind Multienzymreaktionen leichter durchführbar als mit immobilisierten Enzymen. Entsprechendes gilt für Coenzym-abhängige Enzymreaktionen mit in-situ-Regenerierung der Coenzyme/Cofaktoren.
Demgegenüber bestehen u. a. folgende Nachteile: Diffusionsbehinderung durch die Zellwand und Zellmembran sowie durch die Träger- bzw. Polymermatrix, Fixierung enzymatisch inaktiver Zellen, Ablauf unerwünschter Nebenreaktionen und proteolytischer Vorgänge usw.
Der Einsatz immobilisierter Zellen ist immer dann von Vorteil, wenn a) die an der Stoffumwandlung beteiligten Enzyme intrazellulär lokalisiert sind, b) die aus den Zellen isolierten Enzyme während und nach der Immobilisierung instabil sind, c) die Mikroorganismen keine interferierenden Enzyme enthalten oder diese leicht inaktiviert oder entfernt werden können, und d) die Substrate und Produkte ein geringes Molekulargewicht besitzen.
I. M. können für eine Vielzahl von Stoffumwandlungen in Einschritt- und Multienzymreaktionen eingesetzt werden. Das erste Beispiel für eine industrielle Anwendung war die Synthese von L-Aspartat aus Ammoniumfumarat (aufgrund hoher Aspartase-Aktivitäten der Zelle). Von ähnlich großer Bedeutung ist die Herstellung von Fructosesirup mittels i. M. mit Glucose-Isomerase-Aktivität. Insgesamt können i. M. zur Umwandlung von Kohlenhydraten, Herstellung von Aminosäuren, Umwandlung von Antibiotika, Herstellung von organischen Säuren, Energiegewinnung, Durchführung von Abbaureaktionen (insbesondere für die Abwasserreinigung) genutzt werden. Auch die Wirkungsweise der in der Analytik eingesetzten Biosensoren erfordert, dass biologisches Material (Zellen, Enzyme) einen Kontakt mit der festen Unterlage eingehen. Durch Coimmobilisierung mit Enzymen kann das Applikationsspektrum beträchtlich erweitert werden.
Die Mehrzahl der Prozesse wird mit Bakterien, seltener mit Hefen durchgeführt. Das Mycel lebender Pilze homogen im Immobilisierungssystem zu verteilen, bereitet z. Zt. noch Schwierigkeiten. Pilzsporen lassen sich hingegen leichter handhaben. Als Immobilisierungsmethode dominiert allgemein das Einschlussverfahren.

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