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'Archäometrie ist eine Querschnittswissenschaft'

Interview mit Professor Günther Wagner, dem Leiter der Forschungsstelle Archäometrie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Vorsitzenden der Gesellschaft für Naturwissenschaftliche Archäologie ARCHAEOMETRIE.


Spektrum: Sie sind Mitbegründer einer Gesellschaft mit kompliziertem Namen – warum heißt sie nicht einfach Gesellschaft für Archäometrie?

Professor Wagner: Weil sich damit nicht jeder identifizieren würde, den es angeht. Die Bezeichnung archaeometry prägten Kollegen an der Universität Oxford in den sechziger Jahren. Sie starteten unter diesem Titel eine Zeitschrift, die erstmals archäologische Forschung mit naturwissenschaftlichen Methoden zum Thema hatte – unsere Gesellschaft ist inzwischen Mitherausgeber. Einige Disziplinen wie insbesondere die Biowissenschaften kamen darin aber kaum vor. Deshalb legten wir den Namen vor zwei Jahren breit an. Ich bin aber überzeugt, dass die Bezeichnung "Archäometrie" gebräuchlich wird. Es ist der richtige Name für eine Querschnittswissenschaft, die sich durch alle naturwissenschaftlichen bis in die kulturhistorischen Fächer erstreckt.

Spektrum: Warum ist solch eine wissenschaftliche Gesellschaft überhaupt von Belang? Es ging doch vorher ohne.

Wagner: Weil wir ein gemeinsames Forum mit den Archäologen brauchen. Die Archäometrie – ich möchte der Einfachheit halber bei diesem Namen bleiben – gibt es in Deutschland zwar schon seit den 70er Jahren. Doch sie war mehr oder weniger eine Privatveranstaltung für Chemiker und für Physiker, die aber weitgehend ohne die Archäologen stattfand. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Naturwissenschaftler aus ihren Fundstücken neue Informationen herausholen können. Doch woher sollen sie wissen, wer was mit welcher Methode untersuchen kann? Jetzt haben sie eine Anlaufstelle, die sie berät.

Spektrum: Vom Hobby zur Profession, von der Profession zum Professor? Wird es bald Lehrstühle für Archäometrie geben oder geht die Liebe nicht so weit?

Wagner: Im Gegenteil, der erste wurde hier zu Lande bereits an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg eingerichtet, an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt entsteht gerade ein Nebenfachstudiengang und andere Hochschulen planen Ähnliches. Das geschieht allerdings vor dem Hintergrund einer Bündelung der Lehre. Angesichts sinkender Studentenzahlen fallen einige Professuren dem Rotstift zum Opfer, dafür könnten an ausgewählten Universitäten regelrechte Kompetenzzentren in den Geo- und Altertumswissenschaften entstehen. Unsere Gesellschaft möchte bei dieser Veränderung der Hochschullandschaft das Anliegen der Archäometrie einbringen.

Spektrum: Zu diesen Interessen zählt vermutlich auch der Zugang zu Fördermitteln?

Wagner: Natürlich, und dazu ist eine wissenschaftliche Gesellschaft sogar von entscheidender Bedeutung. Stellen Sie doch einmal als Biologe einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, diese möge ein Projekt fördern, das die Ernährungsgewohnheiten einer prähistorischen Bevölkerungsgruppe untersucht. Welches Referat der DFG ist zuständig? Das für Biologie? Das für Archäologie? Wer soll das Gutachten stellen? Sie haben schlechte Karten, denn in den Einzeldisziplinen gibt es viele dringliche Forschungsvorhaben. Eine neue wissenschaftliche Gesellschaft ist aber ein Indiz für eine veränderte Forschungslandschaft, auf die eine Stiftung dann durch Änderung ihrer Struktur reagiert. Und schon sind die Karten neu gemischt!

Spektrum: Wie ist denn die Akzeptanz der neuen Adresse auf Seiten der Archäologie?

Wagner: Etwa ein Drittel unserer Mitglieder sind Archäologen, das spricht für sich. Es hat natürlich ein bisschen gedauert, aber inzwischen haben viele die Chance erkannt, ihre Forschung durch weitere Daten zu ergänzen.

Spektrum: Und die Verständigung klappt so ohne weiteres? Tut sich da nicht manchmal der Graben zwischen Geistes- und Naturwissenschaften auf?

Wagner: Gelegentlich, vor allem im Kontakt mit der Klassischen Archäologie, die stark kunstgeschichtlich orientiert ist. Da sind die Methoden und Denkweisen doch oft sehr verschieden, aber das ändert sich mit jeder neuen Studentengeneration. Dagegen hat die prähistorische Archäologie historische Wurzeln in der Geologie und ist somit Kultur-, aber auch Naturwissenschaft.

Spektrum: Also nur eitel Freude unter dem neuen Dach?

Wagner: Meistens jedenfalls. Schwierig wird es dann, wenn man uns ruft, um eine Theorie durch Fakten zu untermauern und wir liefern das Gegenteil. Sie müssen verstehen, ein Archäologe ähnelt einem Detektiv, der ja auch immer erst nach der Tat am Tatort erscheint. Zeugenberichte gibt es erst ab der Erfindung der Schrift, davor nur stumme Informationsquellen wie Tonscherben, Knochen, Erdschichten und dergleichen. Also wird ein Indizienbeweis geführt, der zeigen soll, dass eine bestimmte Vermutung über den Tathergang sehr wahrscheinlich ist. Doch manchmal sagen die Ergebnisse des kriminalistischen Labors das Gegenteil. Und das tut dann oft weh.

Spektrum: Schon erlebt?

Wagner: Es gab einen heftigen Disput, als wir auf Einladung eines serbischen Archäologen die chemische Zusammensetzung und die Isotopenverhältnisse der frühesten südosteuropäischen Kupferobjekte mit Erzen aus einer bestimmten prähistorischen Mine nahe dem Eisernen Tor verglichen. Wir sprechen hier vom Chalkolithikum im 5. und 4. Jahrtausend vor Christus, und die Theorie war: Dies ist die Mine, aus deren Erz das Kupfer stammt, und damit ist sie das älteste bekannte Kupferbergwerk in Europa. Unsere Resultate zeigten klar das Gegenteil – keines der vielen analysierten Artefakte enthielt Metall aus dieser Mine. Das hörte der Kollege nicht gern. Aber das sind Einzelfälle. Fest steht: Archäometrie und Archäologie haben ein gemeinsames Ziel und einander ergänzende Methoden. Für die nächste oder übernächste Generation von Archäologen wird das selbstverständlich sein.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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