Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Astroteilchenphysik: Das Neutrino aus der Jet-Schleuder

Mit dem Neutrinodetektor IceCube am Südpol gelang eine ­spektakuläre Entdeckung: Ein Blazar, der Kern einer aktiven ­Galaxie, schoss ein extrem energiereiches Neutrino zur Erde. Es verrät uns eine ganze Menge über die Quelle – neuerdings sogar, dass sie nicht allein zu sein scheint.
Künstlerische Darstellung eines aktiven Galaxienkerns

Am 22. September 2017 spürten Physiker mit dem Neutrino­detektor IceCube in der Antarktis ein ganz besonderes Neutrino auf. Das geisterhafte Teilchen, das auf Grund seines Entdeckungsdatums die Katalogbezeichnung IC 170922 erhielt, hatte die atemberaubend hohe Energie von fast 300 Teraelektronenvolt (TeV). Das ist etwa dreißigmal so viel, wie die Energie der Protonen am stärksten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider am CERN. Die Herkunft des Neutrinos schien eine kosmische Quelle zu sein. Aber woher hatte es diese beeindruckende Energiemenge?

Sofort richteten die Astronomen sämtliche Gammastrahlen-Teleskope weltweit, auf die Position der Quelle aus, in der Hoffnung, auch hochenergetische elek­tromagnetische Spuren zu finden. Tatsächlich wurde so schon bald die kosmische Ursprungsquelle vom Weltraumteleskop Fermi der NASA und dem erdgebundenen Tscherenkow-Teleskop MAGIC auf La Palma ausgemacht: Das TeV-Neu­trino kam vom aktiven Kern einer Galaxie, die fast vier Milliarden Lichtjahre entfernt ist. Ihr Name: TXS 0506+056 (siehe SuW 9/2018, S. 24). Die Sensation war perfekt, denn es war ein Neutrino aus einer extremen kosmischen Distanz, das die Erde erreichte und nachgewiesen werden konnte. Grundsätzlich sind Neutrinoquellen in der Astronomie schwer aufzuspüren, und TXS 0506+056 war erst die dritte gesicherte astrophysikalische Neutrinoquelle überhaupt. Zuvor waren nur Neutrinos von der Sonne und von der Supernova 1987A in der Großen Magellanschen Wolke auf der Erde detektiert worden. Diese Neu­trinos sind allerdings wesentlich energieärmer als der nun gefundene »Brecher« aus dem Herzen eines Blazars. Außerdem sind die Sonne und die Supernova astronomisch gesehen relativ nah. Das hochenergetische kosmische Neutrino IC 170922 hingegen entstammt nicht Vorgängen in Sternen, sondern wurde in einem völlig anderen, viel energiereicheren Prozess erzeugt. Astrophysiker favorisieren einen nicht-thermischen Vorgang im Innern von Materieströmen, die vom aktiven Galaxienkern herausgeschossen werden. Viele aktive Galaxienkerne (engl.: »active galactic nuclei«, kurz AGN) sind für diese gerichteten magnetisierten, fast lichtschnellen Materieströme oder Jets bekannt (siehe Bild S. 30 und Kasten oben). Im Innern von TXS 0506+056 schlummert allerdings eine besonders dramatische Sorte, weil der Jet dieser Quelle direkt auf uns gerichtet ist.

Astronomen kennen einen ganzen Zoo von AGN. Am bekanntesten sind wohl die Quasare; aber auch Seyfertgalaxien, BL-Lac-Objekte und Blazare gehören dazu. Zwischen diesen Typen gibt es von der Beobachtung her Unterschiede, doch alle diese Variationen werden durch dasselbe AGN-Standardmodell beschrieben: In ein zentrales extrem massereiches Schwarzes Loch stürzt Materie, die dabei eine rotierende Akkretionsscheibe ausbildet. Der Akkretionsfluss ist durch Reibungseffekte stark aufgeheizt und gibt elektromagnetische Strahlung in allen Wellenlängenbereichen ab. Je nachdem, wie viel Materie pro Zeiteinheit im Loch verschwindet, kann es zur Ausbildung zweier Jets kommen, die immer senkrecht auf der Scheibe stehen. Ist das System zufällig so orientiert, das wir auf der Erde ziemlich genau in den Jetstrahl hineinblicken, dann wird der AGN als Blazar bezeichnet. Genau das ist bei TXS 0506+056 der Fall.

Jagd auf leichte, geisterhafte Teilchen

Kennen Sie schon …

Sterne und Weltraum – Schwarze Löcher - Gibt es Singularitäten doch nicht?

Der Mathematiker Roy Kerr fand einen vermeintlichen Fehler in der Beschreibung schwarzer Löcher durch Roger Penrose und Stephen Hawking. Lesen Sie, weshalb seine Argumente nicht stichhaltig sind. Der Asteroid Apophis wird sich im April 2029 der Erde dicht annähern. Die ESA plant mit ihrer Mission RAMSES den etwa 350 Meter großen Gesteinsbrocken zu begleiten. Wir stellen die Initiative „Astronomie als Kickstarter“ in Schulen vor und komplettieren unsere Serie „Der Weg zum Deep-Sky-Foto“ anhand konkreter Arbeitsschritte in Bildbearbeitungsprogrammen.

Spektrum der Wissenschaft – Leere im Kosmos

Es gibt riesige, Voids genannte, Bereiche im Universum, in denen praktisch keine Materie vorkommt. Ihre ungeheure Leere könnte helfen, einige hartnäckige Rätsel der modernen Kosmologie zu lösen. Außerdem: Viele Menschen haben angeblich einen Mangel an Vitamin D. Studien zeigen, von einer zusätzlichen Vitamin-D-Gabe profitieren wohl deutlich weniger Menschen als gedacht. Mehrere Forschungsgruppen und Unternehmen machen Jagd nach dem Majorana-Quasiteilchen, da dieses Quantencomputer dramatisch verbessern könnte. Wie kann Aufforstung angesichts von Klimawandel und Schädlingsbefall gelingen? Natürliche Erneuerung und andere Baumarten lassen auf einen gesunden Wald hoffen.

Sterne und Weltraum – Vulkanmond Io - Spektakuläre Bilder der Raumsonde Juno

Neue faszinierende Bilder des Jupitermonds Io, aufgenommen von der Raumsonde Juno, zeigen eine durch aktiven Vulkanismus geprägte Landschaft. Johann Wolfgang von Goethe war auch an Astronomie interessiert und gründete eine Sternwarte in Thüringen. Das private Raumfahrtunternehmen Intuitive Machines landete trotz einiger Herausforderungen mit der Sonde Odysseus auf dem Mond. Wir untersuchen, wie viel Masse ein Neutronenstern maximal und ein Schwarzes Loch minimal haben kann, und berichten über zwei Astronomen, die mit einer ausgefeilten Methode das Relikt einer Sternexplosion entdeckten.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Literaturhinweise

Blandford, R. D., Payne, D. G.: Hydromagnetic flows from accretion disks and the production of radio jets. Monthly Notices of the Royal Astronmical Society 199, 1982

Blandford, R. D., Znajek, R. L.: Electromagnetic extraction of energy from Kerr black holes. Monthly Notices of the Royal Astronmical Society 179, 1977

Britzen, S., Müller, A.: Das erste Foto eines Schwarzen Lochs. Sterne und Weltraum 6/2019, S. 26–34

Britzen, S., Fendt, C., Böttcher, M., et al.:A cosmic collider: Was the IceCube neutrino generated in a precessing jet-jet interaction in TXS 0506+056?. Astronomy & Astrophysics 630, 2019

Heule, R.: Lichtblitze im antarktischen Eis. Sterne und Weltraum 6/2011, S. 21–23

IceCube Collaboration: Neutrino emission from the direction of the blazar TXS 0506+056 prior to the IceCube170922A alert. Science 361, 2018

Reichert, U.:Blazare als Quellen kosmischer Strahlung identifiziert. Sterne und Weltraum 9/2018, S. 24–33

Neutrinodetektor IceCube am Südpol

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.