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Die vertikale Verteilung des Ozons über der Antarktis

Eine der längsten zeitlich hochaufgelösten Meßreihen, seit 1985 mit ballongetragenen Sonden an der DDR-Südpolarstation " Georg Forster " gewonnen, half Struktur und Dynamik des sogenannten Ozonlochs verstehen. Diese Untersuchungen werden nun an der deutschen Antarktis - Forschungsbasis "Neumayer" weitergeführt.

Die seit knapp zehn Jahren bekannte Abnahme des stratosphärischen Ozons im südpolaren Frühjahr hat Wissenschaftler vieler Nationen auf den Plan gerufen: Zwar ist der Anteil dieser dreiatomigen Sauerstoff-Modifikation an den Atmosphärengasen verschwindend gering (eins zu eine Million Teilchen); doch reicht das aus, die meiste solare Ultraviolettstrahlung zurückzuhalten – ohne diesen Schutz wären ganze Ökosysteme gefährdet, würden Hautkrebs, grauer Star und Immunschwächen wohl stark zunehmen und wäre selbst das Phytoplankton bedroht, also die Grundlage allen Lebens im Meer.

Inzwischen liegen am Welt-Ozondatenzentrum in Toronto (Kanada), beim Globalen Ozonbeobachtungssystem der Meteorologischen Weltorganisation in Genf (Schweiz) und in nationalen Forschungseinrichtungen beträchtliche Datenmengen vor. Trotzdem ist diese Basis noch zu schwach für gesicherte weitreichende und verallgemeinernde Aussagen. Besonders nachteilig ist, daß man noch wenig über die langfristigen Veränderungen der vertikalen Ozonverteilung weiß.

Die längste zusammenhängende, mithin alle Jahreszeiten umfassende Datenfolge dieser Art stammt von der ehemals ost- und nun gesamtdeutschen Station "Georg Forster" in der Schirmacher-Oase auf 70 Grad 46 Minuten südlicher Breite und 11 Grad 50 Minuten östlicher Länge, wo seit 1985 ohne Unterbrechung wöchentlich eine Sonde aufgelassen wurde (im Frühjahr waren es bis zu drei pro Woche). Der wissenschaftliche Wert dieser Meßreihe veranlaßte das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, die ballongebundenen Ozonsondierungen in das Programm der Station "Neumayer" aufzunehmen, nachdem der Überwinterungsbetrieb an der Forster-Station eingestellt worden ist (die neue Neumayer-Station liegt bei 70 Grad 39 Minuten Süd und 8 Grad 15 Minuten West acht Kilometer südöstlich der ersten, die im Eis des Ekström-Schelfgletschers untergegangen ist; siehe Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1992, Seite 128). Diese Arbeiten wie auch die Ozonmessungen an der deutschen Arktisstation "Koldewey" auf Spitzbergen (Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 104) werden an der Forschungsstelle Potsdam des AWI koordiniert und ausgewertet.


Entdeckung der Ozon-Anomalie

Manche Observatorien, sind sie langlebig und bedeutsam genug, repräsentieren ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Es war ein seltsamer Zufall, daß am 15. Mai 1985 die erste Ozonsonde der Langzeitreihe an der Forster-Station aufstieg – einen Tag vor Erscheinen jener "Nature"-Ausgabe, in der Joseph C. Farman und seine Mitarbeiter vom British Antarctic Survey ihren Artikel "Large losses of total ozone in Antarctica" veröffentlichten, der zur Sensation wurde. Noch früher als die Debatte über das dann Ozonloch genannte Phänomen begann also dieses Forschungsprogramm – die Vorbereitungen dafür liefen schon 1983/84; das ermöglichte es Hartwig Gernandt, dem ostdeutschen Vertreter in der Arbeitsgruppe Physik der oberen Atmosphäre des internationalen Wissenschaftlichen Komitees für Antarktisforschung (Scientific Commitee on Antarctic Research), bereits 1986 auf einer Konferenz in San Diego (Kalifornien) zum ersten Mal detailliert die vertikale Struktur der während des antarktischen Frühjahrs auftretenden Anomalie über die gesamte Dauer ihres saisonalen Bestehens darzustellen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich niemand sonst der Mühe unterzogen, derartige Sondierungen regelmäßig vorzunehmen. Das Thema galt international als nicht mehr besonders ergiebig, denn in den vergangenen zwanzig Jahren hatte man das jahreszeitliche Verhalten des Ozons über der Antarktis im wesentlichen aufgeklärt: Es schwankte zwischen einem Maximum im Polarsommer (November bis Januar) und einem natürlichen – also von menschlichen Aktivitäten nicht merklich mitbestimmten – Minimum im Polarwinter zwischen März und Mai.

Auch die Meßkampagne der Potsdamer Meteorologen Günter Skeib und Christian Popp mit einem Dobson-Spektrometer von Februar 1960 bis Januar 1961 an der sowjetischen Station Mirny paßte in dieses allgemeine Bild (Popp ist gegen Ende der Expedition bei einer Brandkatastrophe in einem eisüberdeckten Wohnhaus ums Leben gekommen). Die Werte zeigten ein winterliches Minimum von 320 Dobson-Einheiten im April und eine Zunahme auf mehr als 470 Dobson-Einheiten gegen Ende Oktober (eine solche Einheit entspricht einem hundertstel Millimeter jener Ozonsäule, die entstünde, wenn dieses Gas aus der gesamten Atmosphäre über einer Flächeneinheit auf Standardtemperatur und -druck gebracht würde). An diesen Verhältnissen änderte sich in der Folgezeit wenig, so daß die meisten Nationen keinen Anlaß mehr für laufende Kontrollen sahen.

Farman aber hatte nachträglich die auf den Stationen Argentine Island und Halley Bay von Oktober 1957 bis März 1984 gewonnenen Daten für das Gesamtozon analysiert und eine Abnahme mit Beginn der achtziger Jahre festgestellt. Nun besagen solche Totalwerte – wie auch die Satellitenaufnahmen zur Lokalisation der Ozonausdünnung über dem antarktischen Kontinent – wenig über die Höhenbereiche, in denen die Reduktion stattfindet; und erst recht bedarf die Klärung, wie und warum der Ozonschwund so und nicht anders abläuft, einer vertikal möglichst gut aufgelösten Sondierung. Die Routinemethode der Ballonaufstiege mit angehängter Meßsonde ist dafür nach wie vor am geeignetsten (Bild 1).

Die Hypothese von der chemischen Ozonzerstörung aufgrund des Eintrags von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und der Freisetzung von Chlor, das die dreiatomigen Sauerstoffmoleküle in einer katalytischen Gasphasenreaktion aufspaltet, war schon seit einigen Jahren diskutiert worden; auch Farman erwog solche Reaktionen. Aufgrund theoretischer Überlegungen erwartete man die Ozonreduktion in Höhen zwischen 30 und 40 Kilometern. Die erste Meßkampagne in der Schirmacher-Oase, die Peter Plessing vom Meteorologischen Hauptobservatorium Potsdam durchführte, ergab jedoch, daß das Frühjahrsminimum unterhalb 20 Kilometern Höhe lag. Das war mit der bis dahin zu Rate gezogenen Gasphasenchemie unerklärlich. Der Zusammenhang mit den extrem niedrigen Temperaturen sowie mit Aerosolen und polaren Stratosphärenwolken, die sich bei dieser Kälte bilden, wurde erst später gefunden (Spektrum der Wissenschaft, März 1988, Seite 70, und August 1991, Seite 42).

Seit 1987 starten die Amerikaner auf der Amundsen-Scott-Basis am Südpol und nach einer Unterbrechung (1985 und 1986) auch die Japaner wieder auf ihrer Station Syowa im östlichen Enderbyland zumindest in den Frühjahrs- und Sommermonaten regelmäßig Ballon-Ozonsonden. Zusammen mit der auf der Forster- und der Neumayer-Station gewonnenen Meßreihe sind dies, von wenigen Einzelstarts abgesehen, die einzigen Sondierungen, auf denen das Wissen über die vertikale Ozonverteilung auf dem antarktischen Kontinent beruht.


Beginn der Langzeitmessungen

Die Aktivitäten der ostdeutschen Polarforschung ergaben sich zu einem nicht geringen Teil mehr aus dem persönlichen Engagement einzelner Wissenschaftler als aus institutionellen Konzepten. In diesem Falle war es der Atmosphärenphysiker Gernandt, Gründer des erst später nach dem Völkerkundler, Reiseschriftsteller und Jakobiner Georg Forster (1754 bis 1794) benannten Forschungskomplexes in der Schirmacher-Oase, der im Meteorologischen Dienst der DDR immer wieder auf Ozonsondierungen in der Antarktis drängte. Errichtet wurde die Station auf einer Geröllfläche für ein ehrgeiziges dreijähriges Ionosphärenforschungsprogramm der Ostberliner Akademie der Wissenschaften. Immerhin konnten dort 1976, als gerade der erste Winter überstanden war, einige Ballons aufsteigen.

Die Druckwerte der Ozonagramme fügten sich in die damaligen Kenntnisse über die Konzentrationen des Gases im Höhenverlauf ein. Wichtiger war, daß sich damit die in den Akademie-Werkstätten in Berlin entwickelte und produzierte Sonde als für Polareinsätze geeignet erwies. Seit 1974 wurde sie routinemäßig vom Aerologischen Observatorium Lindenberg in Ostbrandenburg genutzt und mit nur geringfügigen Abwandlungen bis 1992 auch in der Antarktis verwendet.

Dem Instrument liegt ein von dem Amerikaner A. W. Brewer adaptiertes elektrochemisches Nachweisprinzip zugrunde. Als Meßgröße für den Ozongehalt der Luft dient der Strom, der in einer Kaliumjodid-Lösung fließt, wenn die Ozonmoleküle jeweils ein Sauerstoffatom zur Oxidation des Kaliums abgeben. Durch die Meßzelle, in der ein Platingitter als Kathode und ein Silberdraht als Anode wirken, drückt dafür eine kleine Pumpe permanent ein bestimmtes Volumen Außenluft pro Zeiteinheit. Der Gleichstrom von einer Stärke in der Größenordnung einiger Mikroampere wird in einen proportionalen Wechselstrom im Tonfrequenzbereich umgesetzt und dermaßen verstärkt, daß das Signal zusammen mit den üblichen meteorologischen Daten zur Bodenstation übertragen werden kann.

Als die DDR-Führung Anfang der achtziger Jahre die Forschung in der Antarktis intensivieren wollte, starteten Gernandt und der damalige Direktor des Lindenberger Observatoriums, Peter Glöde, die erste ganzjährige Ozon-Meßkampagne. Zwar dachte man noch nicht an eine Frühjahrsanomalie, wollte aber einen Befund des Japaners Shigeru Chubachi überprüfen, der bei einigen Sondenaufstiegen an der Station Syowa 1982 eine abnorme Verminderung des stratosphärischen Ozongehalts im Oktober festgestellt hatte; ansonsten wurden die Aktivitäten in der Schirmacher-Oase als Langzeit-Grunddatenprogramm angesehen.

Hilfe bot die benachbarte sowjetische Station Nowolasarewskaja mit ihrer nicht eben modernen, noch mit Röhren ausgestatteten Empfangsanlage (Bild 2). Es gab zwar eine die gesamte Südpolarforschung betreffende Kooperation mit dem Leningrader Arktischen und Antarktischen Forschungsinstitut, aber vor Ort bewirkten vor allem guter Wille und einige Kästen Bier, daß die Russen das DDR-Gerät an ihre normale aerologische Sonde hängten, etwas mehr Wasserstoff in die Ballons füllten und im Frühjahr einige zusätzliche Aufstiege gewährleisteten.

Die letzte Sonde der Forster-Station startete im Januar 1992, die erste der Neumayer-Station im März des gleichen Jahres. Parallele Messungen über einige Zeit wären günstig gewesen; aber in der Turbulenz des Zusammenbruchs der DDR und des sehr geschwinden Beitritts zur Bundesrepublik mangelte es den deutschen Wissenschaftlern in Ost und West an Geld für einen früheren Sondierungsbeginn auf dem Ekström-Schelfeis.

Für die Beschreibung der vertikalen Ozonverteilung in der Stratosphäre war der Wechsel des Startplatzes unerheblich: Die Neumayer- und die Forster-Station liegen auf der gleichen geographischen Breite und weniger als 20 Längengrade auseinander; ihre Positionen zum Polarwirbel und den mittleren Zirkulationsströmen oberhalb der Tropopause sind ähnlich. Selbst der Vergleich der Ozondaten zwischen den Aufstiegsorten Schirmacher-Oase und Syowa mit einem Längenunterschied von 30 Grad hat wenig Abweichungen in den mittleren Profilen gezeigt. Die jetzt an der Neumayer-Station gewonnenen Ozondaten können deshalb als Fortsetzung der ostdeutschen Meßreihe angesehen werden.

Das gilt freilich nicht für das troposphärische Ozon. In der planetaren Grenzschicht, also in Höhen bis etwa 3000 Meter, machen sich die Unterschiede des Untergrunds – felsige Flächen und offene Seen in der Schirmacher-Oase einerseits, eine geschlossene Eisdecke auf dem Ekström-Schelfeis andererseits – gravierend bemerkbar.

An der Neumayer-Station wird die von dem Amerikaner Walter D. Komhyr entwickelte, für Routinemessungen international gebräuchliche ECC-Sonde (electrochemical concentration cell) verwendet. Das Grundprinzip nutzt ebenfalls die Fähigkeit des Ozons, in einer Kaliumjodid-Lösung Jod freizusetzen. In der ECC-Sonde sind jedoch Anoden- und Kathodenzelle durch eine permeable Wand getrennt; dadurch verläuft die Reaktion stabiler, und die Zelle zeigt die Ozonkonzentration genauer an als die Brewer-Sonde.


Die Frühjahrsminima

An der Meßreihe der Forster-Station zeigt sich, daß die Ozonreduktion des Frühjahrs seit 1985 regelmäßig, jedoch mit gewissen zeitlichen und räumlichen Unterschieden, im Höhenbereich zwischen 12 und 24 Kilometer wiederkehrt (Bild 3). Am stärksten ist die Abnahme im Druckniveau um 70 Hektopascal, was etwa 18 Kilometern Höhe entspricht.

Daß dies eben in diesem Bereich geschieht und nicht darüber oder darunter, bestätigt die Realität jener Reaktionsketten, welche die Luftchemiker in ihren Stratosphäre-Modellen als Ursache für die Ozonreduktion im Frühjahr angenommen haben. Vorbereitet werden diese Prozesse jedoch während der Polarnacht: Sie setzen Temperaturen unter minus 80 Grad Celsius in den Monaten März bis Mai und Aerosole in der Stratosphäre voraus, aus denen sich die polaren stratosphärischen Wolken bilden. Steigt nach dem langen, dunklen Winter wieder die Sonne über den Horizont, löst ihre Strahlung den katalytischen Ozonabbau aus. Oberhalb von 25 und unterhalb von 12 Kilometern Höhe dominieren diese Reaktionen nicht, unter anderem weil in diesen Luftschichten keine solche Wolken entstehen.

Im Höhenbereich der Frühjahrsminima zeigt der Ozon-Partialdruck einen von Jahr zu Jahr deutlicheren Abnahmetrend. In den letzten vier Jahren, ab der Meßkampagne 1991/92, verschwand die etwa vier Kilometer mächtige Schicht des natürlichen Maximums fast vollständig, während es in den siebziger Jahren auch zu dieser Jahreszeit noch vorhanden war. An einzelnen Tagen der Jahre 1992 und 1993 reduzierte sich der Ozongehalt in diesen Höhen sogar auf null.

Jeweils im Oktober erreicht der Ozonabbau den Endzustand (Bild 4). Der bisher niedrigste Monatsmittelwert wurde im Oktober 1993 in etwa 16 Kilometern Höhe gemessen. Diese Minima zeigen insgesamt auch eine zunehmende Reduktion des Ozons, jedoch keinen linearen Trend; dazwischen liegen Jahre eines relativen Anstiegs.

Die dramatischsten Veränderungen in der unteren Stratosphäre geschehen im September. Mit Ausnahme des Jahres 1988, in dem die Luftmassen etwas anders als sonst zirkulierten, gibt es in diesem Monat seit Beginn der Meßreihe keine Umkehr des Abnahmetrends. Die Meßwerte waren 1992 bereits im September an fast allen Tagen über den gesamten Höhenbereich der stratosphärischen Ozonschicht nur etwa halb so hoch wie im September 1985.

Die Reduktion setzt nach Erscheinen der Sonne im August in Höhen oberhalb von 20 Kilometern ein, dringt nach unten durch und erreicht das Minimum im Oktober in 15 Kilometern Höhe. Der intensive Abbau erfaßte in den letzten Jahren immer tiefer gelegene Schichten.

Bemerkenswert ist auch, daß der Ozonabbau immer früher nach der Polarnacht beginnt – 1993 beispielsweise schon Mitte August. Dies kann durch eine Intensivierung der heterogenen chemischen Prozesse und damit durch eine höhere Chlorkonzentration verursacht sein. Denkbar ist allerdings auch, daß durch eine stärkere Isolation der Luftmassen innerhalb des Polarwirbels die chemischen Prozesse nur weniger gestört ablaufen.

Vielleicht wirken beide Ursachen parallel, denn der im wesentlichen chemisch bedingte Abbau des stratosphärischen Ozons über Antarktika wird von globalen Zirkulationsprozessen überlagert. Aber wie? Beides zu trennen ist bislang nicht befriedigend gelungen. Die Potsdamer Atmosphärenphysiker sehen den Schwerpunkt ihrer Bemühungen gerade darin, die dynamischen Komponenten des polaren Ozonhaushalts – und zwar in Nord und Süd – zu untersuchen. Die Kenntnis der vertikalen Ozonverteilung ist dafür unerläßlich, wie umgekehrt hochaufgelöste Klimamodelle herangezogen werden müssen, um die Beobachtungen richtig interpretieren zu können.

Die Regenerierung der Ozonschicht im November/Dezember beispielsweise ist ein rein dynamisches Phänomen. Die atmosphärische Zirkulation ändert sich dann: Der Polarwirbel, in der Fachliteratur als Vortex bezeichnet, bricht auf. Ozonreiche Luft strömt dann aus mittleren Breiten in die Polargebiete. Dadurch können aber auch ozonarme Luftmassen aus dem einstigen Wirbelbereich regional in mittlere Breiten gedrängt werden; dann sind die Folgen des antarktischen Ozonabbaus – insbesondere eine stärkere solare Ultraviolett-Einstrahlung – in Ländern wie Neuseeland und Südafrika zu beobachten.

Aber wann und wie der Polarwirbel sich auflöst, das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich und wird durch globale planetare Wellenaktivitäten beeinflußt. Der Wirbel ist auch nicht immer gleich stabil und verlagert sich horizontal, wie Satellitenbilder anschaulich zu erkennen geben. Diese dynamischen Effekte könnten eine Ursache für die Schwankungen in den jährlichen Oktober-Minima der Ozonkonzentration sein, wie sie an den Stationen Forster und Neumayer registriert wurden. Beide Meßorte haben normalerweise den inneren Rand der Polarwirbel über sich; verschiebt er sich geringfügig, sondieren sie unter Umständen andere Luftmassen. Das macht gerade Standorte im Grenzbereich des Vortex für die Erforschung globaler Transportvorgänge – einschließlich der Verfrachtung von Ozon – und deren Einfluß auf die polare Ozonchemie interessant. Die Dynamik kann die chemischen Prozesse beschleunigen, verzögern oder sogar kompensieren.

Für einen Vergleich mit einer anderen Region wurde von 1989 bis 1991 an der sowjetischen Station Mirny das gleiche Ballonsondenprogramm absolviert. Sie liegt auf 66 Grad geographischer Breite, also mehr am äußeren Rand des Polarwirbels. Dort, so erwies sich, ist die Ozonausdünnung viel schwächer ausgeprägt, und die Reduktion griff in den drei Jahren nie bis in 20 Kilometer Höhe durch. Diese Unterschiede zur Situation über der Schirmacher-Oase werden mit dynamischen Einwirkungen erklärt.


Neue Beobachtungen

In den letzten Jahren deuten sich zusätzlich Veränderungen oberhalb und unterhalb des beobachteten Frühjahrsminimums an.

Das bisher immer noch vorhandene Ozon oberhalb der Tropopause beginnt jeweils im Oktober zu schwinden. Es blieb bisher offen, ob dafür dieselben chemischen Prozesse wie in den Luftschichten darüber oder andere Vorgänge verantwortlich zu machen seien. Diskutiert wird, ob vulkanisches Aerosol, das von den mächtigen Ausbrüchen des Pinatubo und des Zerro Hudson im Jahre 1991 stammt, in diesen Höhen Ozon direkt abbaue. Bereits auf den Ausbruch des El Chichon von 1982 folgte eine Ozonabnahme in diesem Bereich, und amerikanische Ballonsonden hatten vulkanische Aerosole dort in hoher Konzentration nachgewiesen. Postuliert man einen ursächlichen Zusammenhang, ergibt sich aber die Frage, warum die zusätzliche Reduktion nur im Oktober stattfindet und nicht auch im September. Die Vorgänge beim Frühjahrsminimum scheinen davon unberührt zu sein.

Oberhalb von 25 Kilometern Höhe waren die Ozonkonzentrationen in den zurückliegenden Jahren mehr oder weniger gleich. In diesem Bereich finden nach heutigem Kenntnisstand keine heterogenen chemischen Prozesse statt, die den natürlichen Jahresgang des Ozons stören könnten: Dort dominiert die Dynamik. Seit 1990 deutet sich aber auch in Schichten oberhalb der Frühjahrsanomalie ein Trend zu verringerten Ozongehalten an, der völlig andere Gründe haben muß als die bisher bekannten.

Ob dies ein neues Phänomen ist, läßt sich aus der kurzen Meßreihe noch nicht erkennen. In der Atmosphäre gibt es Oszillationen mit Perioden von elf, zwanzig und mehr Jahren, deren Ursachen bisher wenig untersucht worden sind. "Die gesamte atmosphärische Zirkulation versteht man so wenig", sagt Gernandt, "daß wir bei der Erforschung des Ozongehalts vermutlich mit vielen nicht linearen Überlagerungen und Effekten aufgrund unterschiedlichster Schwingungen zu rechnen haben, die sich offensichtlich auch in einzelnen Höhenbereichen unterschiedlich auswirken können. Die Dynamik scheint die Ozonverteilung – insbesondere in den Polargebieten – stärker und vielfältiger zu steuern, als man das bisher angenommen hat."

Einigermaßen gesichert scheint eine Korrelation der Schwankungen des Oktober-Ozonminimums von Jahr zu Jahr mit jenen der stratosphärischen Zirkulation in den Tropen. Diese sogenannte quasizweijährige Oszillation besteht darin, daß annähernd im jährlichen Wechsel eine West- oder ein Ostströmung vorherrscht. Aus den vertikalen Ozonsondierungen geht hervor, daß während der Westphase die Ozonreduktion im Höhenbereich um 70 Hektopascal (etwa 25 Kilometer) stärker ist als während der Ostphase. Immer dann also, wenn die Strömungsrichtungen der Luftmassen in der tropischen Stratosphäre mit der des ebenfalls west-ost-umlaufenden Polarwirbels übereinstimmen, ist mit noch extremeren Frühjahrsminima zu rechnen. In Höhen über 25 Kilometern war das Auf und Ab der Ozonkonzentration während der achtziger Jahre besonders deutlich im Rhythmus mit dem Hin und Her der Strömungsoszillation – ein weiterer Hinweis darauf, daß sich in diesen Luftschichten die Effekte globaler Zirkulationsphänomene am auffälligsten ausprägen.

An der Neumayer-Station soll die vertikale Ozonverteilung über mehrere Sonnenfleckenzyklen sondiert werden, damit man – soweit möglich – die Einflüsse langzeitiger atmosphärischer Schwingungen erkennen kann. Indes betrachten die Potsdamer Forscher die stratosphärischen Vorgänge beider Polarregionen weitgehend mit gleichen Methoden, um die erheblichen Unterschiede und deren Gründe besser zu verstehen. Des weiteren interessiert sie die meridionale Zirkulation im Zusammenhang sowohl mit den kräftigen Ozonflüssen aus den Tropen in die Polarregion wie – und dies ist eine aktuelle Problematik – mit den Rückwirkungen des polaren Ozonabbaus auf die mittleren Breiten: Eine Erklärung dafür, daß auch dort das stratosphärische Ozon im Frühjahr abnimmt (um etwa 8 Prozent von 1978 bis 1990) steht noch aus.

Soweit man derzeit weiß, laufen die zerstörerischen chemischen Reaktionen – wie gesagt – nur bei extrem tiefen Temperaturen ab. Kann also der Ozongehalt in mittleren Breiten etwa deshalb abnehmen, weil in Arktis und Antarktis erzeugte hohe Chlorkonzentrationen dorthin gelangen? Oder strömen aus dem Polarwirbel stammende Luftmassen mit bereits reduziertem Ozongehalt in mittlere Breiten?

Zu klären ist schließlich der vertikale Ozontransport über den Polarregionen. Abschätzungen für den Höhenbereich zwischen 24 und 20 Kilometern ergaben, daß er sich nicht jedes Jahr mit gleicher Geschwindigkeit vollzieht. Dies könnte bedeuten, daß die chemische Reduktion des Ozons unterschiedlich stark durch den Nachschub ozonreicher Luft beeinflußt wird.

Die Atmosphärenphysiker müßten unablässig definierte Luftmassen verfolgen und bemessen, um ein konsistentes Bild gewinnen zu können. Doch fehlt es an Forschungsstationen, besonders in der Antarktis. Mit der Berechnung von Trajektorien (Bewegungen von Luftmassen) sucht man diesen Mangel auszugleichen. Die Methode ist sehr aufwendig; gleichwohl hat Peter von der Gathen – damals an der Universität Bremen – sie in der Arktis im Winter 1991/92 im Rahmen des European Arctic Stratospheric Ozone Experiment erfolgreich angewendet, um Ozonwerte bestimmten Luftmassen zuzuordnen.

Nicht einmal dafür reichen die wissenschaftlichen Basen im Südpolargebiet. Einen wesentlich bescheideneren Versuch immerhin unternahm das Alfred-Wegener-Institut im September 1993 in Absprache mit ausländischen Institutionen: An den Stationen Neumayer, Maitri (der in der Schirmacher-Oase gelegenen indischen Überwinterungsbasis) und Syowa wurde eine Woche lang täglich eine Ozonsonde gestartet. Das Meteorologische Institut des japanischen Wetterdienstes hat die zugehörigen Trajektorien berechnet. Die Daten werden gegenwärtig in der Forschungsstelle Potsdam ausgewertet. Hartwig Gernandt hofft, auf diese Weise dynamische und chemische Effekte besser trennen zu können. Wenn beispielsweise Abweichungen in der Ozonkonzentration beobachtet werden, die aufgrund der Luftbewegung nicht erklärbar sind, müssen sie chemisch bedingt sein.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 119
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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