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"Flüssige Sonnenenergie" aus Holzabfällen

Die so genannte Flash-Pyrolyse verwandelt Späne sekundenschnell in Bio-Öl. Das eignet sich als Brennstoff, aber auch als Rohmaterial für die chemische Industrie.

Aus Märchen, Mythen und Erzählungen ist sie wohl bekannt: die rußgeschwärzte Gestalt des Köhlers. In Erdgruben und Meilern verschwelte er noch bis ins 20. Jahrhundert Holz zu Holzkohle, sorgsam bedacht, keine Luft an die Scheite kommen zu lassen. Am Ende erhielt er zudem noch Teer als Holzschutz- und Desinfektionsmittel sowie Methanol und Essigsäure oder "Holzgeist", eine Mischung aus Methanol, Aceton, Methylacetat und anderen Substanzen.

Dieses schon seit vorchristlicher Zeit bekannte Verfahren dient derzeit vor allem dazu, Holzkohle für den Grill sowie nach Rauch schmeckende Aromen für die Lebensmittelindustrie zu gewinnen, freilich nicht mehr in Meilern, sondern in stählernen Retorten. Doch das wachsende Interesse an der Biomasse als Energieträger könnte ihm neuen Aufschwung geben, in moderner Form.

Weltweit stellt Holz den weitaus größten Teil der landlebenden Pflanzen. Allein in der Bundesrepublik deckt es bereits 1,4 Prozent des Bedarfs an Primärenergie, meist zum Kochen und Heizen. Dabei bleibt das energetisch nutzbare Restholz der Forstwirtschaft weitgehend ungenutzt, obwohl es immerhin 0,6 bis 0,7 Prozent des Primärenergiebedarfs decken könnte.

Holz besteht überwiegend aus den Vielfachzuckern Zellulose und Hemizellulose sowie dem aus Phenylpropan-Einheiten aufgebauten Lignin. All diese Stoffe bildet ein Strauch oder Baum aus den im Erdreich gewonnenen Nährstoffen, Wasser und dem Kohlendioxid der Luft. Sonnenlicht dient dabei als Energielieferant (Photosynthese). Wird dieses komplex aufgebaute Material hohen Temperaturen ausgesetzt, kehrt sich der Prozess um, und Kettenmoleküle werden in kürzere Bruchstücke gespalten. Ist dabei Sauerstoff vorhanden, verbrennt das Holz, das heißt, die einst gebundene Energie wird wieder freigesetzt. Bei reduzierter Sauerstoffzufuhr und hohen Temperaturen von 800 bis 900 Grad Celsius entsteht überwiegend Gas; ohne Sauerstoff und bei nur 500 Grad Celsius überwiegend Pyrolyse-Öl.

Nur das Öl lässt sich speichern und so lässt sich der Anfall der Biomasse und ihre Nutzung voneinander entkoppeln, und zwar räumlich – Transport und Lagerung erfolgen dort, wo es logistisch und wirtschaftlich sinnvoll ist – wie auch zeitlich – Strom und Wärme lassen sich dann je nach Bedarf erzeugen. Das Gas enthält zudem zunächst Teer und erfordert eine Reinigungsstufe, bevor es Motoren antreiben kann. Schließlich kann Pyrolyse-Öl – ähnlich dem Erdöl – chemisch weiterverwertet werden.

Aus diesem Grund existiert seit vier Jahren ein weltweites Netzwerk, das die alte Technik der Holzverkohlung im modernen Gewand weiterentwickelt. Chemisch gesehen handelt es sich um eine Pyrolyse, also eine Lösung der Ausgangsstoffe unter dem Einfluss von Wärme (nach griechisch pyr für "Feuer" und lysis für "auflösen"). Weil nicht die Holzkohle im Vordergrund steht, sondern die Flüssigkeit, steuert man den Prozess so, daß er nicht stunden- bis tagelang, sondern nur einige Sekunden dauert, daher die Bezeichnung Flash-Pyrolyse. Den verschiedenen Molekülen bleibt dann nicht genug Zeit, sich wieder zu größeren Molekülen zu verbinden und Kohle zu bilden. Dazu muss das Holz mit Heizraten von 1000 Grad Celsius pro Sekunde auf etwa 475 Grad Celsius gebracht werden; im Allgemeinen erfordert das eine hohe Wärmeleitung beziehungsweise sehr feine Holzpartikel. Ebenso rasch gilt es, die entstehenden Gase und Dämpfe abzukühlen. Eine rötlich-braune Flüssigkeit kondensiert dann, die etwa den halben Heizwert von Heizöl aufweist – das Pyrolyse-Öl.

Insgesamt wandelt sich das eingesetzte Holz bei guter Prozessführung zu 60 bis 70 Prozent zu Öl, außerdem entstehen 10 bis 15 Prozent Holzkohle und 15 bis 20 Prozent Gas, die beide verheizt werden und so die gesamte erforderliche Prozessenergie liefern. Letztlich bleibt als einziger Abfall Asche; sie macht etwa zwei Prozent der eingesetzten Masse aus.

Wie nun eine solche Flash-Pyrolyse optimal zu bewerkstelligen ist, erproben Forscher derzeit in Pilot- und Demonstrationsanlagen. Aus der Kohlefeuerungstechnik bekannt sind so genannte Wirbelschichtreaktoren. Sie bestehen aus einer senkrecht stehenden Brennkammer mit einem Düsenboden. Der fein gemahlene Brennstoff wird beispielsweise mit einem Schneckengetriebe eingebracht und mit Sand gemischt (siehe Grafik rechts). Einströmendes Gas – überwiegend Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Methan – verwirbelt beides, die Pyrolyse findet also in der Schwebe statt (in herkömmlichen Wirbelschichtreaktoren dient Luft der Verwirbelung und Sauerstoffzufuhr). Der Sand dient als Wärmespeicher. Die derzeit größte derartige Anlage steht in Madison (Wisconsin): Mit ein bis zwei Tonnen Holz pro Stunde beschickt erzeugt sie allerdings nur Öl für Raucharomen.

Flash-Pyrolyse – ein internationales Forschungsthema

Am National Renewable Energy Laboratory in Golden (Colorado) entwickelten Wissenschaftler die Grundlagen der so genannten ablativen Reaktoren: Die Holzpartikel werden an deren heißen Wänden geschmolzen, der Sand als Wärmespeicher entfällt. Das Verfahren wird in Birmingham (Großbritannien) an der Universität Aston weiterentwickelt.

Weiter sind die Niederländer mit dem so genannten rotierenden Konusreaktor. Wie der Name sagt, werden Sägespäne und Sand auf den Boden eines sich sechsmal pro Sekunde drehenden, konusförmigen Kessels gebracht. Die so erzeugten Fliehkräfte ersetzen das beim Wirbelschichtreaktor einströmende Gas; Aufheizen und Abkühlen erfordern dann weniger Energie. An der Universität Twente entwickelt, wird das Verfahren jetzt von der Biomass Technology Group, beide in Enschede, im Maßstab 200 Kilogramm Holz pro Stunde betrieben.

Einen Sonderfall schließlich verfolgen Wissenschaftler in Jonquière (Quebec): Ihr Vakuumreaktor verarbeitet 3,5 Tonnen Rindenabfälle pro Stunde. In der röhrenförmigen Brennkammer läuft ein Endlosband, auf dem faustgroße Holzstücke bewegt werden. Die Heizrate ist deutlich geringer und beträgt nur 10 bis 20 Grad Celsius pro Minute – es dauert dementsprechend länger, eine große Menge an Öl zu bilden. Damit die entstehenden Produkte in dieser Zeit nicht doch wieder zu Kohle reagieren, saugt sie das Vakuum sofort aus der heißen Reaktionszone.

Die Frucht der Bemühungen, das Pyrolyse-Öl, ähnelt den aus Erdöl gewonnenen Produkten, unterscheidet sich aber auch in vieler Hinsicht. Chemisch gesehen handelt es sich um ein Gemisch organischer sauerstoffhaltiger Verbindungen, vor allem Aldehyde, Alkohole, Anhydrozucker, Carbonsäuren, Furane, Ketone, Lactone und Phenole. Mittels Gaschromatographie lassen sich insgesamt etwa 200 nicht verkettete Substanzen nachweisen, darüber hinaus noch Fragmente von Polymeren, die vom Lignin herrühren. Anders als die Kohlenwasserstoffe fossiler Öle sind die genannten Moleküle wasser-anziehend (hydrophil), sodass die Bio-Öle 25 bis 30 Prozent Wasser enthalten. Es stammt von der Restfeuchte des Holzes, entsteht aber teilweise auch im Rahmen der chemischen Reaktionen während der Pyrolyse. Erst ab einem Wassergehalt von 40 Prozent würde sich das Produkt in eine teerige und eine wässrige Phase auftrennen. Letztere dient bereits kommerziell als Raucharoma.

Von dieser Verwendung abgesehen werden Pyrolyse-Öle direkt in Heizkesseln mit zehn Megawatt thermischer Leistung verbrannt oder zur Stromerzeugung in langsam laufenden Dieselmotoren (250 Kilowatt) und Gasturbinen (2,8 Megawatt) eingesetzt. Mit Hilfe von Wasserstoff, Katalysatoren und hohen Drücken (200 – 300 bar) und Temperaturen (400 – 500 Grad Celsius) lassen sich auch Benzin und Dieselkraftstoff gewinnen (so genanntes Hydrocracken), doch benötigt man dazu viermal mehr teuren Wasserstoff als bei Rohöl; das Verfahren arbeitet deshalb noch nicht wirtschaftlich.

Wie erwähnt eignet sich Bio-Öl auch als industrieller Rohstoff. Beispielsweise gelang es bereits, den Anteil an giftigen Phenolen in den Bindemitteln von Holzwerkstoffen durch Zugabe von Pyrolyse-Öl um bis zu 40 Prozent zu senken, ein Ergebnis der vielen reaktiven chemischen Gruppen im Öl. Durch Reaktion mit Harnstoffverbindungen resultierte ein stickstoffhaltiger Depotdünger, der Stickstoff langsam freisetzt, sodass die Pflanzen genug Zeit haben, ihn aufzunehmen – die Nitratbelastung von Boden und Grundwasser wird verringert.

Vom Abfallholz zur Feinchemikalie

Entsprechende Reinigungsschritte liefern auch einzelne Komponenten; beispielsweise gelingt es bereits mit vertretbarem Aufwand, auf solche Weise hochreine und schwermetallfreie Essigsäure zu gewinnen, wie sie in der Chipfertigung zum Ätzen der Leiterbahnen auf dem Siliziumchip benötigt wird. In drei bis vier Schritten erhält man Lävoglucosan, einen Rohstoff der Pharmaindustrie etwa für die Synthese von Biotin (Vitamin H) und für Antibiotika.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Die Vielzahl an Verbindungen in den Pyrolyse-Ölen bringt auch Probleme mit sich. Organische Säuren wie Ameisen- und Essigsäure im Öl fördern Korrosion. Gehen leichtflüchtige Substanzen aus dem Öl verloren, wird es sehr zäh. Da noch reaktive Moleküle vorhanden sind, verändert es seine Zusammensetzung mit der Zeit, lässt sich also nur begrenzt lagern. Darüber hinaus erweist es sich auch bei Erwärmung als labil. Ohne langkettige Moleküle, wie sie etwa Fette haben, eignet sich Pyrolyse-Öl auch nicht als Schmiermittel (deshalb kann es nur in langsam laufenden Motoren verbrannt werden). Wissenschaftler versuchen dem zu begegnen und untersuchen beispielsweise den Einfluss des Holzes auf die Produktqualität oder die Wirkung von Zusätzen. So scheinen kleine Mengen an Ethanol oder Methanol die ersten drei Probleme zu beseitigen.

Im Rahmen des genannten Netzwerks erforschen die Europäische Union, die USA und Kanada gemeinsam die Zusammensetzung und Anwendungsmöglichkeiten von Pyrolyse-Ölen, die jeweiligen Einflussfaktoren, Verfahren zur Stabilisierung und Veredelung, Aspekte der Ökologie und Ökonomie sowie die Voraussetzungen einer erfolgreichen Markteinführung. Arbeiten zur Prozessoptimierung sind im Labormaßstab bereits abgeschlossen, nun werden größere Anlagen gebaut beziehungsweise betrieben, um die Verfahren möglichst praxisnah weiterzuentwickeln.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2000, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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