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Affenpocken-Ausbruch von 2022: Neues »Gen-Akkordeon« soll globale Epidemie erklären

Bis heute ist rätselhaft, wieso sich das zuvor seltene Affenpocken-Virus 2022 plötzlich weltweit verbreitete. »Langweilige« Erbgutbereiche mit Akkordeon-Funktion könnten das Rätsel der überraschenden Seuche lösen.
Affenpockenviren unter dem Mikroskop. Vermutlich Symbolbild oder so.
Pockenviren haben einen ungewöhnlichen evolutionären Trick: Ihr Erbgut kann wachsen und schrumpfen wie ein Akkordeon - und sich so rasant anpassen.

Im Frühjahr 2022 begann sich ein zuvor nahezu unbeachtetes Virus rasant weltweit zu verbreiten. Auf dem Höhepunkt der Epidemie infizierten sich jeden Tag rund 1000 Menschen mit dem Mpox-Virus, einem Verwandten der Pocken. Als der Ausbruch nach rund einem Jahr abgeflaut war, hatten in mehr als 110 Ländern Menschen mit den zuvor nur sporadisch in Afrika aufgetretenen Affenpocken Kontakt gehabt. Und bis heute ist die Frage ungeklärt: Wie konnte ein derart seltenes Virus plötzlich eine globale Epidemie verursachen?

Ein Rätsel betrifft das Genom des Mpox-Virus. Fachleute vermuten, dass sich das Virus irgendwann vor der Epidemie besser an Menschen angepasst hat: Der Erreger gehört zur Mpox-Variante Klade II, die eigentlich als weniger ansteckend gilt als die in Zentralafrika auftretende Klade I. Doch Untersuchungen des Virus auf verdächtige Mutationen im Erbgut blieben ergebnislos. Tatsächlich allerdings könnten Fachleute schlicht an der falschen Stelle nachgeguckt haben, schlägt nun ein Team um den Virologen Gustavo Palacios von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York vor. In einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift »Nature Communications« berichten sie, dass die entscheidenden Veränderungen in bisher wenig beachteten, »langweiligen« Regionen des Erbguts auftreten können.

Das Genom von Pockenviren enthält neben den rund 190 Genen haufenweise Abschnitte mit kurzen, sich häufig wiederholenden Sequenzen. Bisher ging man davon aus, dass diese Bereiche keine Information tragen. Doch das ist wohl nicht ganz richtig. Für ihre Studie untersuchte das Team Viruserbgut aus insgesamt 46 Proben von Infizierten mit Hilfe extrem genauer Techniken, die auch solche schwer zu lesenden Wiederholungen erfassen. Dabei zeigte sich, dass der größte Teil der Diversität der Affenpocken-Viren eben nicht in den klassischen Mutationen auftritt – sondern in diesen Wiederholungssequenzen.

Wie das Team berichtet, könnte es sich dabei um eine bisher unbekannte Variante des »genetischen Akkordeons« handeln – der wiederholten Vergrößerung und Verkleinerung des Erbguts, mit der sich Pockenviren an neue Bedingungen anpassen können. So können die Viren Gene vervielfältigen, günstig mutierte Varianten bewahren und den Rest wieder rausschmeißen. Außerdem fügen sie in Bereiche, die aus Wiederholungen eines einzelnen Bausteins bestehen, einzelne Bausteine ein oder entfernen sie. Das beeinflusst, wie benachbarte Gene abgelesen werden.

Der neu entdeckte Mechanismus könnte nun das dritte Akkordeon der Pockenviren sein, vermutet die Arbeitsgruppe. Drei der variabelsten Wiederholungssequenzen liegen in Bereichen, die mit Ansteckung und Aggressivität des Virus assoziiert sind, und weitere drei in einer ansonsten genetisch sehr stabilen Zentralregion voller wichtiger Gene. Die Arbeitsgruppe vermutet, dass die Veränderungen in den Wiederholungssequenzen indirekt Virusgene beeinflussen, indem sie das Leseraster verschieben oder die Aktivität der Gene verändern.

Wie genau das genetische Akkordeon Mpox ansteckender machte, ist noch unbekannt. Doch es herauszufinden, könnte noch wichtig werden. Denn in Zentralafrika läuft derzeit ein weiterer sehr ungewöhnlicher Ausbruch des Mpox-Virus. Bisher haben sich rund 20 000 Menschen angesteckt. Während sich der Erreger 2022 überwiegend sexuell unter erwachsenen Männern verbreitete, sind beim neuen Ausbruch vor allem Kinder betroffen. Und im Gegensatz zum globalen Ausbruch von 2022, bei dem von 100 000 Erkrankten lediglich rund 180 Menschen starben, zirkuliert dort die deutlich gefährlichere Klade I. Die Fallsterblichkeit liege derzeit bei knapp sieben Prozent, berichtet die Europäische Seuchenschutzbehörde ECDC.

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