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Meeresbiologie: Alt eingesessen

Als Oasen in einer lebensfeindlichen Wüste zeigen sich die Tiefseequellen, von denen es neben heißen auch kalte Versionen gibt. Bisher galten diese Biotope als evolutionsbiologisch jung. Doch beim näheren Hinschauen offenbart sich eine alt eingesessene Tierwelt.
Muschelfossil
Es war die biologische Entdeckung der 1970er Jahre: Tief unten am Meeresboden, der bis dahin als öd und leer galt, gedeihen Oasen blühenden Lebens. Die Hydrothermalquellen der Tiefsee verdanken ihre Pracht einer Substanz, die eher einen schlechten Leumund genießt: Schwefelwasserstoff.

"Wer an das Leben an diesen Orten angepasst ist, kann hier in der Tat sehr gut leben"
(Crispin Little)
Unter hohem Druck sprudelt hier mehrere hundert Grad heißes Wasser zusammen mit der giftigen Substanz aus Felsspalten hervor. Doch was für die meisten Organismen tödlich ist, wissen andere für sich zu nutzen. Bakterien zum Beispiel, die den Schwefelwasserstoff wie das auch hier austretende Methan oxidieren und diese Substanzen somit als Energiequelle anzapfen. Und von diesen Mikroben ernährt sich wiederum eine reichhaltige Tierwelt, die es gelernt hat, das Gift zu ertragen. "Wer an das Leben an diesen Orten angepasst ist, kann hier in der Tat sehr gut leben", erläutert Crispin Little von der Universität Leeds.

Fossile Methanquelle | Fossile Methanquellen, wie hier aus dem oberen Jura im heutigen Frankreich, zeigen eine überraschend alte Mollusken-Fauna.
Inzwischen zeigte sich, dass es neben den Hydrothermalquellen auch Versionen gibt, bei denen es nicht ganz so heiß hergeht. Bei den so genannten Cold Seeps blubbert Schwefelwasserstoff und Methan eher unspektakulär mit einer Temperatur hervor, die der des umgebenden Meerwassers entspricht. Doch auch hier gilt dasselbe wie für ihre heißen Schwestern: blühendes Leben, aufgebaut auf Schwefelwasserstoff und Methan.

Muschelfossil | Ein Großteil der heute lebenden Muscheln-Gattungen kann bereits seit dem Eozän als Fossilien nachgewiesen werden.
Die Tiefseequellen sind nun kein Fall für die Ewigkeit. Mal kann die eine Quelle versiegen, mal tritt an anderer Stelle eine neue hervor. Die hier lebende Tierwelt – so die bisherige Vermutung – sollte daher evolutionsbiologisch junge Arten aufzeigen. Um das zu belegen, interessierten sich Little zusammen mit seinem Kollegen Steffen Kiel vor allem für die Mollusken oder Weichtiere, die im Meer durch zahlreiche Muscheln, Schnecken und Käferschnecken gut vertreten sind. Die Forscher werteten insgesamt 102 Gattungen des Tierstamms aus – heutige als auch fossile bis zum Jura zurückreichende –, die von 125 kalten Tiefseequellen stammten.

Gattungen, von denen es keine fossilen Belege gab, schlossen die Wissenschaftler für ihre weitere Analyse ebenso aus wie diejenigen, die wohl nur eher zufällig an den sulfidischen Quellen anzutreffen waren. Übrig blieben 36 Gattungen, von denen sieben inzwischen ausgestorben sind. Von den übrigen Cold-Seep-Mollusken lebte nur eine einzige Muschel bereits im Jura vor etwa 150 Millionen Jahren. In der Kreidezeit kamen noch einige Gattungen hinzu, die meisten tauchten dann während des Tertiärs im Eozän vor 55 bis 34 Millionen Jahren auf.

Zum Vergleich zogen nun Kiel und Little die fossilen Belege der "normalen" Weichtierfauna außerhalb der Tiefseequellen heran. Auch hier traten die ersten Vertreter der heute noch lebenden Mollusken im Jura auf. Doch die größte Gruppe der 2366 untersuchten Gattungen erschien erst recht spät auf dem Meeresboden: im Oligozän vor 34 bis 24 Millionen Jahren sowie im anschließenden Miozän.

Damit erweisen sich die Mollusken der Tiefseequellen als um mindestens eine Epoche älter als die übrigen Weichtiere und begraben damit die Theorie der jungen Quellfauna. Und auch eine andere Hypothese wackelt: Bisher galten Walkadaver, bei deren Zersetzung ebenfalls Schwefelwasserstoff und Methan entsteht, als ökologische "Trittsteine" zwischen den Quellen, die einen Artenaustausch ermöglichen. Die ersten Vorläufer der Wale tauchten zwar tatsächlich bereits im Eozän auf. Doch fossile Belege für üppige Walleichen gibt es erst aus dem Oligozän, als die Meeressäuger eine erste Blütezeit erlebten – die Weichtiere der Tiefseequellen waren da schon alt eingesessene Hasen.

Nun wollen die Forscher den Walen ihre Rolle als Förderer der Quellenfauna nicht gänzlich absprechen, doch ihre Bedeutung in der Mollusken-Evolution bleibt wohl bescheiden. Aber warum haben die Weichtiere so lange unverändert an den giftigen Quellen überdauert?

Sie fanden hier ein Rückzugsgebiet für schlechte Zeiten, vermuten Kiel und Little. Abgesehen von dem großen Artensterben an der Kreide-Tertiär-Grenze gab es in der Erdgeschichte weitere Ereignisse, bei denen drastische Veränderungen – wie zum Beispiel der Rückgang des Sauerstoffgehalts – den Bewohnern des Meeres arg zusetzten. Selbst während dieser Krisen wurden die Tiefseequellen "durch eine konstante Quelle geothermischer Energie angetrieben", betont Little. Diese geradezu langweilige Konstanz schuf üppige Oasen in der öden Wüste der Tiefsee.

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