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Arbeitswissenschaft: Sinkt im Homeoffice die Kreativität?

Forschende untersuchen zunehmend die Folgen des hybriden Arbeitens. Neue Erkenntnisse zeigen, dass Unternehmen und Institute mehr in die Vernetzung investieren müssen.
Eine Person sitzt auf dem Fußboden und arbeitet
Viele Menschen genießen es, flexibel von zu Hause arbeiten zu können. Doch neue Forschung zeigt, dass der persönliche Austausch mit den Kollegen nicht vernachlässigt werden sollte.

Immer mehr Menschen arbeiten von zu Hause. Doch natürlich gibt es nach wie vor auch Berufe oder Teilaspekte bestimmter Tätigkeiten, die sich nicht dafür eignen. So kann der Archäologe Adrià Breu, der an der Autonomen Universität Barcelona neolithische Töpferwaren untersucht, nicht in seiner Küche nach Artefakten graben. Und Claudia Salas, die am Institut für Biowissenschaften in Siena forscht, wird von ihren Experimenten im Bereich der molekularen Mikrobiologie gezwungen, an den meisten Tagen in ihr Labor zu fahren. Aber die beiden Wissenschaftler arbeiten gelegentlich auch von daheim – wenn sie zum Beispiel wissenschaftliche Artikel verfassen oder Daten analysieren.

Der Trend ist eindeutig: Die Covid-19-Pandemie hat den Übergang zu hybridem Arbeiten beschleunigt – in der Wissenschaft ebenso wie in vielen anderen Berufen auch. Millionen von Menschen änderten fast über Nacht ihre Arbeitsgewohnheiten, und vielerorts haben sich die Veränderungen dauerhaft etabliert.

Die Auswirkungen von dieser »neuen Normalität« sind jedoch weniger eindeutig. Viele Menschen, die aus dem Homeoffice arbeiten, behaupten, glücklicher und produktiver zu sein. Laut einigen Studien jedoch erzielen Teams, die regelmäßig auch räumlich zusammenkommen – einschließlich akademischer Forschungsgruppen –, hochwertigere und innovativere Ergebnisse.

In dem Maß, in dem sich hybrides Arbeiten durchsetzt, versuchen Fachleute die vollen Auswirkungen zu verstehen, für wissenschaftliche ebenso wie für andere Berufe. Auf der Grundlage von Ökonomie, Psychologie und Kommunikationstheorie untersuchen sie viele Aspekte des neuen Arbeitsmodells: von der Art und Weise, wie Menschen mit immer mehr E-Mails und Videokonferenzen umgehen, bis hin zu der Frage, wie hybride Teams zusammenarbeiten und Wissen weitergeben. Sie erforschen auch, was die Wissenschaft dazu beitragen kann, die Kluft zwischen Büro- und Fernarbeitsteams zu überbrücken und so hybride Arbeit zu einem Erfolg zu machen.

Die Wissenschaft war dem Trend voraus

Vor der Covid-19-Pandemie war das Homeoffice zwar für manche Menschen bereits eine Option, aber nicht für viele. Im Jahr 2016 wurden zum Beispiel nur vier Prozent der voll bezahlten Arbeitstage in den Vereinigten Staaten von zu Hause aus geleistet. Dieser Anteil stieg bis Mai 2020 auf bis zu 60 Prozent und hat sich seitdem bei etwa 25 Prozent eingependelt. In anderen Ländern sieht es ähnlich aus. In den Zahlen der britischen Regierung für 2022 und 2023 gaben fast die Hälfte der Arbeitenden an, zumindest teilweise von zu Hause aus zu arbeiten.

Auch unabhängig von der Pandemie sind Forschende in nahezu allen Bereichen der Wissenschaft daran gewöhnt, in geografisch weit voneinander entfernten Teams zu arbeiten. Je mehr die Politik und neue Technologien den Austausch von Ideen, Daten und Materialien förderten und umso spezialisierter das Fachwissen wurde, desto weiter verteilten sich die kooperierenden Arbeitsgruppen über den Globus. Schon im Jahr 2011 ergab eine Analyse der Adressen von rund 39 Millionen Autorinnen und Autoren von Forschungsarbeiten , dass die durchschnittliche Distanz zwischen ihnen mehr oder weniger linear von 334 Kilometern im Jahr 1980 auf 1553 Kilometer im Jahr 2009 gestiegen ist. Vermutlich war also die Zusammenarbeit über große Entfernungen hinweg zu diesem Zeitpunkt bereits gut etabliert und die Teams wurden immer internationaler.

Die Mitglieder dieser Teams arbeiteten zwar meist nicht von zu Hause aus. Doch die Herausforderung, über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten und dabei eher auf technologische Lösungen als auf persönliche Kommunikation angewiesen zu sein, habe viel mit der aktuellen Situation zahlreicher Unternehmen gemeinsam, die versuchen, erfolgreiche hybride Strukturen aufzubauen, sagt Ágnes Horvát. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Informatikerin untersucht die Auswirkungen von Fernarbeitspraktiken an der Northwestern University in Evanston, Illinois.

Schon vor der Pandemie viele Studien zu Heimarbeit

Was die Arbeitsweise von Wissenschaftlern angehe, sagt Horvát, »so sind die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, gut verallgemeinerbar«. Entsprechend ließen sich Studien über Fern- oder Hybridarbeit in Versicherungsunternehmen und an anderen Arbeitsplätzen heranziehen und die Erkenntnisse ohne Probleme auf die Wissenschaft übertragen. Auch schon vor der Pandemie habe es zahlreiche Studien zu dem Thema gegeben, auf die man zurückgreifen könne. Unternehmen, Wirtschaftswissenschaftler und andere Forschende hätten die Auswirkungen der Telearbeit teils seit Jahrzehnten verfolgt.

In den 1980er Jahren etwa führte das US-amerikanische Bankunternehmen American Express ein erfolgreiches Pilotprojekt namens Project Homebound durch, bei dem ein alternatives Bürosystem für Menschen mit Behinderungen getestet wurde. Das Projekt wurde als Erfolg gefeiert, und das Unternehmen rühmte sich mit Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerungen. Gewerkschaftsvertreter befürchteten jedoch Ausbeutung und forderten ein Verbot von »elektronischen Heimarbeitsplätzen«.

In jüngerer Zeit legen allerdings einige kleinere Studien in bestimmten Gruppen etwa bei Angestellten in Callcentern und IT-Fachleuten nahe, dass vollständig aus der Ferne arbeitende Angestellte tendenziell weniger produktiv sind – um etwa 10 bis 20 Prozent. Sie bearbeiten weniger Anrufe, geben weniger Daten ein und brauchen länger für die gleichen Aufgaben. Dies steht im Widerspruch zu den Behauptungen aus den Anfangstagen der Pandemie, dass Menschen, die zu Hause arbeiten, mehr arbeiten als diejenigen, die im Büro sind.

Theoretisch bietet die Hybridarbeit einen Ausgleich zwischen dem Wunsch der Angestellten nach Flexibilität und den Bedenken des Managements hinsichtlich der Arbeitsleistung. Eine noch nicht von Fachleuten überprüfte Studie aus dem Jahr 2022 mit 1612 Ingenieuren sowie Marketing- und Finanzmitarbeitern des weltweit tätigen Reiseanbieters Trip.com schien dies zu bestätigen. Das Unternehmen teilte seine Mitarbeitenden in zwei Gruppen ein: Die einen arbeiteten immer im Büro, die anderen lediglich an zwei Tagen pro Woche. Wer in der Mischform arbeitete, war zufriedener und verließ das Unternehmen seltener als diejenigen, die in Vollzeit im Büro arbeiteten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Teammitglieder, die der gemischten Gruppe zugeteilt wurden, zwar andere Arbeitszeiten und -muster hatten, die Gesamtproduktivität der Gruppen aber gleich blieb. Arbeitnehmer mit einem längeren Arbeitsweg gaben eher an, die Vorteile der Fernarbeit zu schätzen.

Dauerhaftes Homeoffice führt zu weniger Kreativität

Obwohl solche Analysen nützliche Daten liefern, benötigen Forschende längerfristige Studien, um den Anstieg der Fernarbeit nach der Pandemie vollständig zu bewerten. »Die Pandemie hat uns die Auswirkungen der Heimarbeit in einem relativ kurzen Zeitraum gezeigt, aber wir brauchen viel mehr Erkenntnisse dazu, was passiert, wenn wir wirklich jahrelang aus der Ferne arbeiten«, sagt Marina Schröder, eine Innovationsökonomin an der Leibniz Universität Hannover. Sie untersucht die Auswirkungen der Fernarbeit auf die Kreativität und hat beispielsweise gezeigt, dass die Kommunikation über eine Chat-Software im Vergleich zu einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu weniger Innovation führt.

»Räumlich voneinander getrennte Teams kooperieren eher bei technischen Aufgaben, während Teams vor Ort viel eher bei der Generierung neuer Ideen zusammenarbeiten«Carl Frey, Wirtschaftswissenschaftler

Ende 2023 erbrachte eine Langzeitstudie unter der Leitung von Carl Frey, einem Wirtschaftswissenschaftler an der University of Oxford, den bisher stärksten Beleg dafür, dass Zusammenarbeit über Distanz die Art und Qualität der Arbeit verändern kann. Das Team fand heraus, dass Menschen, die am selben Standort arbeiten, mehr bahnbrechende Erkenntnisse und neue Ideen haben. Und obwohl Menschen, die über Distanz zusammenarbeiten, von einem größeren kollektiven Wissen profitieren, sind sie insgesamt betrachtet weniger kreativ. Sie erzielen eher schrittweisen Fortschritt.

»Wir haben in der Studie gezeigt, dass räumlich voneinander getrennte Teams eher bei technischen Aufgaben kooperieren«, sagt Frey, »während Teams vor Ort viel eher bei der Generierung neuer Ideen zusammenarbeiten.« Dafür analysierte Frey mit seinen Kolleginnen und Kollegen rund 20 Millionen Fachartikel aus aller Welt, die zwischen 1960 und 2020 veröffentlicht wurden, sowie vier Millionen Patentanmeldungen, die zwischen 1976 und 2020 eingereicht wurden. Sie untersuchten, zu welchen Institutionen die Forschenden gehörten, sowie deren geografische Reichweite. Zudem berücksichtigten sie, wo die Artikel zitiert worden waren, um zu bewerten, wie »disruptiv« die Veröffentlichungen waren.

Waren die Beteiligten weiter voneinander entfernt, sank die Wahrscheinlichkeit eines disruptiven Effekts der Forschung – und zwar um etwa 20 Prozent, wenn die Entfernung von 0 Kilometern auf mehr als 600 Kilometer anstieg. »Teams, die von zu Hause arbeiten, schaffen seltener bahnbrechende Erkenntnisse«, sagt Frey.

»Offenbar ist der Ideenfindungsprozess schwieriger, wenn er durch Technologie vermittelt wird«Ágnes Hórvat, Kommunikationswissenschaftlerin

In Anbetracht der überstürzten Einführung der Fernarbeit während der Pandemie sei diese Studie ein wertvoller Hinweis und mahnt zur Vorsicht, sagt Horvát. »Das ist nicht die Art und Weise, wie wir die Wissenschaft weiterentwickeln wollen. Ich denke also, dass wir das sehr ernst nehmen müssen.«

Schwieriger Ideenfindungsprozess

Woran liegt es, dass Menschen über die Distanz weniger kreativ zusammenarbeiten? »Offenbar ist der Ideenfindungsprozess schwieriger, wenn er durch Technologie vermittelt wird«, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Ágnes Horvát. »Das muss so etwas wie ein in uns liegender Mechanismus sein.« Aber wieso das so sei, sei ein nicht unbedeutendes Wissensdefizit: »Wie sollen wir diesen Effekt beheben, wenn wir nicht wissen, was die Ursache dafür ist?«

Carl Frey vermutet, dass es mehrere Erklärungen für den Rückgang der Innovation gibt. Eine davon sei der Wert zufälliger Begegnungen, die viel wahrscheinlicher sind, wenn Menschen am selben Ort arbeiten. Persönliche Begegnungen führten zu mehr Wissen, sagt er: »Wenn man zusammen zu Mittag isst und ähnliche Dinge tut, dringen mehr Ideen zu einem durch, weil die anderen Leute selbst eine Menge gelesen haben.« Eine dritte Möglichkeit ist das, was Frey als Intensität der Zusammenarbeit bezeichnet. Diese treibe Innovation voran, indem sie vorhandene Ideen aus verschiedenen Bereichen zusammenführt. »Ideen zusammenzuführen erfordert Zeit und Mühe«, sagt er. »Manchmal klappt es, aber normalerweise ist es ein Prozess. Und es ist schwieriger, wenn man sich nicht am selben Ort befindet und nicht regelmäßig miteinander kommuniziert.«

Die Art und Weise, wie man online kommuniziert, mit all den Terminen und Prioritäten, sei ziemlich strukturiert und hierarchisch aufgebaut, fügt Lingfei Wu hinzu, ein Informationswissenschaftler an der University of Pittsburgh in Pennsylvania, der mit Frey an der Studie gearbeitet hat. Dies könne informelle Gespräche behindern – und damit auch die zwanglose Unterhaltung, die zu guten Ideen führt, gar nicht erst entstehen lassen. Zudem erschwere die Online-Kommunikation es Forschenden, die noch am Beginn ihrer Karriere stehen, mit älteren Kollegen in Kontakt zu kommen.

Wer am gleichen Ort ist, publiziert mehr gemeinsam

»Wir alle, die wir die Juniorphase durchlaufen haben, wissen, wie schwer es ist, einen älteren Professor dazu zu bringen, auf eine E-Mail zu antworten«, sagt Wu. »Wenn man aber einem älteren Professor auf dem Flur begegnet, ist es einfacher zu sagen, dass man ein paar Ideen hat.«

Er weist darauf hin, dass sich dieser Effekt anhand der Daten sichtbar machen lasse, die für die Studie zur Fernzusammenarbeit gesammelt wurden. Laut der Analyse war eine Zusammenarbeit zwischen Forschenden mit deutlich unterschiedlichem Status viel häufiger, wenn die beiden fraglichen Personen im gleichen Büro oder Gebäude waren, als wenn sie weit voneinander entfernt arbeiteten.

Ein Mangel an Zusammenarbeit könnte aber für Forschende jedes Status negative Folgen haben: Wie das Team von Wu in einer noch nicht begutachteten Vorabveröffentlichung zeigt, können auch Jüngere Älteren dabei helfen, innovativere Arbeit zu leisten.

Die Gruppe analysierte 241 Millionen Artikel, die von mehr als 244 Millionen Forschenden in den vergangenen zwei Jahrhunderten veröffentlicht wurden, und untersuchte die entsprechenden Zitationsmuster. Das Ergebnis: Je länger die betreffenden Personen in einem Bereich arbeiten, desto seltener wird ihre Forschung als bahnbrechend eingestuft. Dieser Trend habe sich in über die Jahrzehnte verstärkt. In den 1960er Jahren produzierten Forschende mit 20 Jahren Erfahrung mehr als zwei Prozent der bahnbrechendsten Arbeiten. In den 1990er Jahren war dieser Anteil auf weniger als 0,5 Prozent gesunken.

Was nur wenige Nachwuchsforschende überraschen dürfte, ist die Tatsache, dass ältere Wissenschaftler viel häufiger neue Arbeiten kritisierten, als selbst innovative Forschung zu betreiben. Die Zusammenarbeit aus der Ferne sowie das Fehlen sporadischer persönlicher Begegnungen könnten laut Wu Hierarchien verstärken und den Trend verschärfen.

Der Tod des Water-Cooler-Effekts

Der Wert spontaner persönlicher Begegnungen für die Ideenfindung, bekannt als Water-Cooler-Effekt, wird besonders mit Kreativität in Verbindung gebracht. Eine Studie zweier US-amerikanischer Sozialwissenschaftler aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass die Kommunikation über Bildschirme diese persönliche Note nicht wiedergeben kann.

Dazu baten Melanie Brucks von der Columbia University in New York City und Jonathan Levav von der Stanford University in Kalifornien Paare von Freiwilligen, sich alternative Verwendungsmöglichkeiten für Gegenstände wie eine Frisbeescheibe und Luftpolsterfolie auszudenken. Die eine Hälfte der kreativen Paare arbeitete im selben Raum, während die andere per Videoanruf über Laptops kommunizierte. Eine ähnliche Studie führten die Forschenden mit Ingenieuren durch, die in fünf Büros auf der ganzen Welt am Design von Produkten arbeiten.

Bei der Zusammenarbeit über eine räumliche Distanz hinweg entstanden weniger Ideen als bei den Teams, die persönlich zusammenkamen. In Folgetests jedoch, nachdem die Ideen generiert worden waren, waren die Paare aus der Ferne bei der Analyse der Optionen und der Entscheidung, welche sie weiterverfolgen sollten, genauso effektiv wie die Paare vor Ort – teils sogar noch effektiver.

»Wenn mein Teamkollege wirklich gut ist und ich sehe, was er produziert, ist das für mich inspirierend«Glenn Dutcher, Wirtschaftswissenschaftler

Wie haben die Bildschirme ihre Kreativität eingeschränkt? Mittels Eyetracking ließ sich nachweisen, dass die virtuellen Paare einander mehr Aufmerksamkeit schenkten – die Bildschirme schienen die Paare nicht daran zu hindern, Gefühle der Verbundenheit und Vertrauen zu entwickeln oder die Sprache oder Mimik des anderen nachzuahmen. Stattdessen, argumentieren die Forschenden, schränkt die Konzentration auf einen relativ kleinen Bildschirm den kognitiven Fokus ein. Dies wiederum schaltet die geistige Fähigkeit aus, Konzepte zu assoziieren und zu kombinieren, die der Ideenfindung zu Grunde liegt.

Ein Treffen von Angesicht zu Angesicht könnte auch die Kreativität fördern, weil es für die Teams möglich wird, das kollektive Wissen in vollem Umfang zu nutzen, was bei der Zusammenarbeit aus der Ferne nicht der Fall ist. »Wenn mein Teamkollege wirklich gut ist und ich sehe, was er produziert, ist das für mich inspirierend«, sagt Glenn Dutcher, Wirtschaftswissenschaftler an der Ohio University in Athens, der diesen Effekt untersucht hat.

Gewohnheiten des Homeoffice ziehen ins Büro

Ähnlich wie andere Branchen haben auch einige wissenschaftliche Labore den Wert persönlicher Treffen erkannt und führen diese wieder ein. »Im Dezember trafen wir uns zum ersten Mal nach fast zwei Jahren wieder vor Ort und waren alle überrascht, wie gut es sich anfühlte, wieder im selben Raum zu sitzen«, sagt Viktor von Wyl, ein Epidemiologe an der Universität Zürich, der ein Labor mit zehn Mitarbeitenden leitet. »Wir haben nun beschlossen, mindestens eine Teamsitzung pro Monat wieder persönlich abzuhalten.«

Auch wenn Videokonferenzen nicht so effektiv sind wie persönliche Treffen, vermitteln sie doch eine hochwertigere Kommunikation als Instrumente wie E-Mail und Instant Messaging. Das liegt daran, dass Psychologen Telefon- und Videoanrufe als »synchrone« Medien betrachten, bei denen die Kommunikation in Echtzeit den Teilnehmenden hilft, sich über die Bedeutung komplexer Informationen zu verständigen. E-Mails und Instant Messaging sind dagegen asynchrone Kanäle, die besser geeignet sind, diese Informationen einfach zu übermitteln. Und wenn Menschen aus der Ferne arbeiten, verschicken sie in der Regel E-Mails.

Diese Auswirkung konnte Microsoft messen, als es die erzwungene Umstellung auf Fernarbeit als natürliches Experiment nutzte, um zu bewerten, wie die 61 000 Mitarbeiter des Unternehmens in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des Jahres 2020 darauf reagierten. Die Analyse ergab, dass die Zahl der Video- und Telefonanrufe im Unternehmen durch die Fernarbeit tatsächlich zurückging, da die Mitarbeiter auf E-Mail und Messaging umstiegen.

Etwas Ähnliches zeigte sich in den Daten der Trip.com-Analyse. Hybrid arbeitende Angestellte, so die Studie, schickten ihren Kollegen eher Nachrichten, als dass sie sie anriefen oder persönlich mit ihnen sprachen – selbst wenn sie alle im Büro waren.

Löst die virtuelle Realität Probleme des Homeoffice?

Ágnes Horvát glaubt, dass künftige Technologien einige – wenn auch nicht alle – Probleme mit der Fernarbeit lösen könnten, einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Kreativität. Experimente mit virtueller Realität haben zum Beispiel gezeigt, dass die Teilnehmenden Gesten und Körpersprache nutzen können, was ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Kommunikation ist. Und die gemeinsame Nutzung von Dateien und Daten über die Cloud habe die Zusammenarbeit über große Distanzen vereinfacht. »Technologie sieht heute ganz anders aus, vor allem nach Corona«, sagt sie. Es gebe sicherlich Gründe, der Zukunft zumindest einiger Remote-Kooperationen positiv entgegenzusehen.

In einem Arbeitspapier aus dem Jahr 2022 (das noch nicht von Fachkollegen geprüft wurde) untersuchten Carl Frey und seine Kollegen von der University of Oxford einerseits die Zusammenarbeit aus der Ferne und andererseits die daraus hervorgehende wissenschaftliche Innovation von 1961 bis 2020 und kamen zu einer überraschenden Erkenntnis. Nach 2010 enthielten wissenschaftliche Arbeiten, die über eine größere Distanz hinweg verfasst wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Durchbruch als Arbeiten, die von Teams an einem einzigen Standort verfasst wurden.

Im Gegensatz zur Studie von 2023, die im Lauf der Zeit weniger Durchbrüche feststellte, wird in dieser Analyse nur der Output bestehender Teams betrachtet, die vor Ort beginnen und dann zur Fernarbeit übergehen; dagegen wurden Teams, die schon immer aus der Ferne gearbeitet haben, nicht erfasst.

»Die Gesellschaft braucht die großen Entdeckungen, und für diese brauchen wir wahrscheinlich den persönlichen Austausch. Aber wir brauchen auch die kleinen Fortschritte«Glenn Dutcher, Wirtschaftswissenschaftler

Das sei wenig überraschend, sagt Nick Bloom, Wirtschaftswissenschaftler an der Stanford University: Damals seien File-Sharing-Technologien wie etwa Dropbox aufgekommen. Bloom erforscht die Telearbeit bereits seit Längerem und hat zwei Arbeiten zu diesem Thema verfasst. Carl Frey ergänzt, dass der Trend nach 2010 auch auf das zurückzuführen sein könnte, was Ökonomen als Wissens-Spillover bezeichnen – jeder Mitarbeiter trägt die Ideen aus dem Projekt in seine Heimateinrichtung.

Allerdings gibt es wohl keine Patentlösung, mit der sich alle Aspekte optimieren lassen, insbesondere in der Wissenschaft. Auch wenn Durchbrüche in der Forschung wichtig sind, sagt Ökonom Glenn Dutcher, erfordern sie oft große Investitionen, zum Beispiel um Menschen zusammenzubringen. »Die Gesellschaft braucht die großen Entdeckungen, und für diese brauchen wir wahrscheinlich den persönlichen Austausch«, sagt er. »Aber wir brauchen auch die kleinen Fortschritte.« Und die entstehen auch im Homeoffice.

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