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Aufforstung: Überschätzte Speicher

Wo Wald wächst, wird Kohlenstoff gebunden. Manche sehen daher in Baumanpflanzungen einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Doch der Effekt ist begrenzt. Wälder sollen schließlich auch nachhaltige Rohstoffe liefern und für Biodiversität sorgen. Derweil sind sie immer stärker mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert.
Eiche in urigem Wald in Deutschland
Die hiesigen Wälder speichern immer weniger Kohlenstoff. Viele Bäume sind alt und haben das Maximum ihrer Speicherkapazität erreicht.

Immer im Winter, wenn Frost und Wind die meisten Blätter von den Bäumen geholt haben, sind sie besonders gut zu erkennen: mächtige Stämme von Buchen und Eichen, weiter oben dicke Äste, die große Kronen bilden. Sie sind über Jahrzehnte gewachsen und haben dabei massenhaft Kohlenstoff eingelagert, der damit unserer Atmosphäre entzogen bleibt. Wälder gelten daher als Klimaschützer. Da liegt der Gedanke nahe, noch mehr Bäume zu pflanzen und wachsen zu lassen, um weiteren Kohlenstoff zu binden. Darauf berufen sich Klimapolitiker ebenso wie Unternehmen, die Waldprojekte unterstützen, um schädliche Emissionen zu kompensieren.

Ob die Rechnung aufgeht, ist aber fraglich. An den Kompensationsprojekten entzündet sich viel Kritik. In den vergangenen Jahren haben Dürren, Brände und Borkenkäfer außerdem gezeigt, wie schnell die mühsam aufgebauten Kohlenstoffspeicher verschwinden können. Der fortschreitende Klimawandel wie auch wirtschaftliche Entwicklungen werden Wälder weiter bedrohen. Was viele Fragen aufwirft: Wie viel Kohlenstoff können sie langfristig speichern? Welchen Anteil zum Klimaschutz können sie leisten, welche Erwartungen sind illusorisch?

15 Jahre Zeit erkaufen durch Aufforstung? Unwahrscheinlich.

Laut einer im November 2023 veröffentlichten Studie zu diesem Thema haben Wälder das Potenzial, bis zu 226 Milliarden Tonnen (Gigatonnen, Gt) Kohlenstoff zusätzlich zu binden. Bei einem jährlichen Kohlenstoffausstoß von 15 Gt, maßgeblich durch Kohlenstoffdioxid (CO2) aus fossilen Rohstoffen, könnte die Menschheit rechnerisch 15 Jahre Zeit gewinnen.

Verfasst wurde die Studie unter Leitung des Crowther Lab an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Dessen Chef, der Ökologe Thomas Crowther, war bereits an einer früheren Arbeit beteiligt, die 2019 ein Potenzial von gut 200 Gt ermittelt hatte. Sie sah erhebliche Aufforstungen vor, etwa in der Savanne – und wurde dafür in der Fachwelt stark kritisiert. Für die neue Analyse bewertete das Team aus Daten von bodengestützten Messungen sowie der Satellitenfernerkundung, wie viel Kohlenstoff den Wäldern bereits verloren ging, etwa durch Entwaldung. Um das »wieder auffüllbare« Potenzial zu ermitteln, ließen die Autoren jetzt ungeeignete Regionen aus und konzentrierten sich auf Gebiete, die bewaldet sind oder sich zumindest dafür eignen. Resultat: 226 Gigatonnen wären möglich, je nach Modell streut der Wert zwischen 151 und 363 Gigatonnen. »Etwa 61 Prozent dieses Potenzials können erreicht werden, indem bestehende Wälder geschützt werden und sie sich bis zur natürlichen Reife erholen können«, heißt es in einer Mitteilung der ETH. »Die restlichen 39 Prozent können durch die Wiedervernetzung fragmentierter Waldlandschaften, durch nachhaltiges Management und Wiederherstellung von Ökosystemen erreicht werden.«

»Das ist weltfremd und widerspricht allem, was wir über den Wald wissen«Christian Körner, Botaniker

Ob diese Zahlen erreichbar sind, ist zu bezweifeln. Nach wie vor geht weltweit deutlich mehr Wald verloren, als durch Wiederaufforstung ausgeglichen wird. Der Klimawandel mit zunehmenden Wetterextremen setzt den Beständen zu, was Prognosen über viele Jahre sehr unsicher macht, wie mehrere Fachleute gegenüber »Spektrum« erklären. Der Botaniker Christian Körner, Emeritus an der Universität Basel, kritisiert das vermeintliche Kohlenstoffpotenzial besonders drastisch: »Die Autoren gehen von einem statischen Waldkonzept aus, bei dem der Wald im reifen Zustand sehr lange bestehen bleibt«, sagt er. »Das ist weltfremd und widerspricht allem, was wir über den Wald wissen.« Er sei ein dynamisches System, in dem sich neuer Wald, der heranwächst, und alter Wald, der zusammenbricht, biologisch abwechseln. »Dazu kommen Stürme, Brände, Dürren und Insektenkalamitäten.« Über alle Flächen gemittelt lasse sich im Naturwald niemals der maximal mögliche Bestand erhalten. Wegen der vielen natürlichen Regenerationsflächen, wo er sich erst wieder im Aufbau befindet, sei es im Schnitt allenfalls die Hälfte, schätzt Körner.

»Den Holzvorrat im Wald zu steigern ist nur möglich, wenn er nicht genutzt wird«, erklärt der Experte. Doch der Bedarf bleibe: zum Heizen, zum Bauen, für Toilettenpapier, Schulbücher und vieles andere mehr. Um ihn zu decken, werde der Rohstoff dann anderswo gekauft und das Holz eben dort geschlagen, argumentiert Körner. Umso wichtiger sei es, Waldschutz, Wiederaufforstung und nachhaltige Forstwirtschaft zusammenzubringen. »Die Kohlenstoffspeicherung kann damit schon etwas gesteigert werden«, sagt der Forscher. »Man sollte das Potenzial aber nicht überschätzen und sich darüber klar sein, dass der Effekt erst in Jahrzehnten zum Tragen kommt.«

Eine sozioökonomische Frage

Insbesondere in den Tropen bewirken die Bemühungen zum Schutz und Aufbau der Wälder noch immer wenig gegenüber dem massiven Einschlag. »Es ist viel einfacher, tropische Wälder zu zerstören, als sie zu schützen«, meint Pedro Brancalion, Forstwissenschaftler von der Universidade de São Paulo. Er begründet das unter anderem mit wirtschaftlichen Interessen: Erstens bringt das geerntete Holz Geld, und die auf den kahl geschlagenen Flächen folgende Landwirtschaft liefert jährlich neues Einkommen. Anders ist das bei Wald, wo man viele Jahre warten muss, bis man wieder Holz ernten kann. Zweitens seien die Gesetze vor Ort oft lasch oder würden nicht eingehalten. Die Ignoranz der Konsumenten und Importeure, denen es gleich ist, woher das Holz stammt, trügen ebenso zur Entwaldung bei.

Damit die Wälder des globalen Südens mehr Kohlenstoff speichern, müssten diese ökonomisch-gesellschaftlichen Probleme angegangen werden, sagt Brancalion. »In den tropischen Ländern kann sich die Politik schnell ändern«, ergänzt er. Wird eine verstärkte Abholzung ermöglicht, und sei es nur für einige Jahre, gehen große Areale des über viele Jahrzehnte gewachsenen Waldes verloren. Darüber hinaus bereitet die Erderwärmung mit Trockenphasen und Bränden dem Forstwissenschaftler Sorgen. »Aktuell ist das Amazonasgebiet von einer Trockenheit betroffen, wie es sie seit 120 Jahren nicht gab

Aus Brancalions Sicht ist es auf jeden Fall sinnvoller, bestehende Wälder zu erhalten und nachhaltig zu nutzen, als neue zu pflanzen. Denn abgesehen von dem erheblichen Aufwand, den Neupflanzungen mit sich bringen, erreichen sie die Ziele wie Klima- und Biodiversitätsschutz oft nicht. Anders als viele Projekte nahelegen, ist es nämlich nicht damit getan, ein Loch zu graben und dort einen Setzling zu platzieren. Ehe ein neuer Wald entsteht, braucht es vielmehr eine gute Vorbereitung und jahrelange Pflege. Dabei kann man viel falsch machen: Monokulturen verringern die Artenvielfalt, invasive Pflanzen verdrängen möglicherweise lokale Spezies, und schnell wachsende Bäume benötigen übermäßig viel Wasser und steigern dadurch den Wasserstress in trockenen Gebieten.

Fragwürdige Emissionsminderungen

Neupflanzungen wie auch der Schutz bestehender Wälder lassen sich aber gut als Klimaschutz vermarkten. Rund zwei Milliarden Dollar werden jährlich in diesem so genannten freiwilligen Kohlenstoffmarkt umgesetzt, Schätzungen zufolge soll der Betrag künftig noch deutlich steigen. Das System wird jedoch kritisiert. »Viele der Klimaschutzprojekte, die Emissionsgutschriften für den freiwilligen Markt generieren, sparen weniger Treibhausgase ein, als sie angeben«, lautet das Fazit einer Analyse, die das Akademienprojekt ESYS Energiesysteme der Zukunft am 28. November 2023 vorgestellt hat. Manche der untersuchten Projekte hielten Qualitätskriterien nicht oder nur bedingt ein. »Teilweise lässt auch die Art des Projekts eine sichere Quantifizierung und Verifizierung der vermiedenen Treibhausgase kaum zu, zum Beispiel wenn durch die Projekte Abholzung vermieden werden soll«, heißt es weiter. Im Klartext: Die Sägetrupps fällen dann eben auf einer anderen Fläche.

»Das System des freiwilligen Kohlenstoffmarkts ist unglaublich ineffizient für die Projekte vor Ort, ein Großteil des Geldes bleibt unterwegs woanders hängen«, ergänzt Jutta Kill vom World Rainforest Movement. Die Projektentwickler und Zwischenhändler verdienten umso mehr, je mehr Zertifikate sie verkaufen. Die Zertifizierer wiederum zögerten mit kritischen Stellungnahmen, weil sie Folgeaufträge verlieren könnten. »Nach meiner Erfahrung ist nicht fehlendes Geld der Hauptgrund für die Entwaldung«, sagt sie. »Es sind die Missachtung der Rechte von Menschen vor Ort und Subventionen für zerstörerische Aktivitäten wie Landwirtschaft oder Bergbau.«

Der deutsche Wald speichert immer weniger Kohlenstoff

In Deutschland ist die Lage deutlich anders, Wald gilt als schützenswertes Gut. Dennoch sieht es für Kohlenstoffspeicherung hier nicht gut aus. In den vergangenen Jahrzehnten ist viel gewachsen, die Wälder waren eine Kohlenstoffsenke. »Diese Wirkung nimmt nun ab«, so Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde in Brandenburg. Das liegt zum einen daran, dass insbesondere Fichten nach Dürren und Borkenkäferbefall massenhaft abgestorben sind. Zum anderen sind die Bestände hier zu Lande im Schnitt über 70 Jahre alt, was für die Speicherleistung nachteilig ist: Am meisten Kohlenstoff lagern Bäume in ihrer besonders produktiven Zeit zwischen 30 und 70 Jahren ein. In der darauf folgenden Phase binden sie immer weniger Kohlenstoff. »Wir laufen aus dem Optimum raus«, so der Forstwissenschaftler. Denn auch nachgepflanzte Bäume fixieren anfangs weniger Kohlenstoff.

Es gebe zwei Optionen: »Erstens die Bäume nicht mehr so alt werden lassen, zweitens auf die Holznutzung verzichten.« In beiden Fällen drohen empfindliche Folgen, warnt der Forscher. Wenn man Waldbäume früher nutze, steige zwar die Speicherleistung der Wälder, doch gleichzeitig gebe es dadurch weniger Altbäume und Totholz – das kann die Biodiversität mindern. Bäume stehen zu lassen wiederum bedeute, dass weniger Rohstoffe vorhanden sind, um beispielsweise den Holzbau voranzubringen, der klimaschädliche Baustoffe wie Stahl und Zement ersetzen soll.

»Wir können froh sein, wenn sie die Kohlenstoffspeicherung auf dem bisherigen Niveau halten«Andreas Bolte, Forstökologe

»Zusätzlich zu diesen Nutzungskonflikten haben wir den Klimawandel, wobei noch nicht klar ist, welche Baumarten wie gut damit zurechtkommen«, sagt Bolte. Die Wälder müssten dringend daran angepasst werden, um ihre Funktionen auch künftig zu erfüllen. »Wir können froh sein, wenn sie die Kohlenstoffspeicherung auf dem bisherigen Niveau halten.«

Noch weiter im Norden könnte die Aufforstung sogar einen unerwünschten Effekt auf das Klima haben, wie Miko Kirschbaum vom neuseeländischen Forschungsinstitut Landcare Research und seine Kollegen darlegen. In schneebedeckten Regionen reflektieren weiße Flächen viel Sonnenstrahlung. Stehen dort Bäume, sinkt diese so genannte Albedo, wodurch es lokal zu einer Erwärmung kommt. Der Effekt könnte daher die Kühlung durch den gespeicherten Kohlenstoff übertreffen, weshalb das Team davor warnt, Baumpflanzungen als uneingeschränkt positiv darzustellen. Vielmehr sollten Wirkungen am jeweiligen Standort genau betrachtet werden.

Ähnlich sieht es Markus Reichstein vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. »Die Fokussierung auf Kohlenstoff, auch angetrieben durch den Verkauf von Kompensationszertifikaten, verengt den Blick«, sagt er. Wälder seien ebenso wichtig für Biodiversität und den Wasserhaushalt; diese Funktionen sollten unbedingt mitbedacht werden.

Den ganzen Holzkreislauf im Blick haben

Auch beim Kohlenstoff müsse man genauer hinschauen, betont der Forscher. »Die durchschnittliche Verweildauer von Nutzholz in Europa beträgt 22 Jahre.« Das umfasst sowohl Bauholz, was über Jahrzehnte in Häusern steckt, als auch Papier sowie Brennholz und Pellets. »Wenn das verbrannt wird, ist der Kohlenstoff sehr schnell wieder im Kreislauf«, sagt Reichstein. »Besser wäre es, ihn langfristig zu binden, etwa indem Holz stärker zum Bauen genutzt wird.« Was bei der Ernte übrig bleibt, etwa dünne Äste, könnte im Wald bleiben oder zu Pflanzenkohle umgewandelt werden. Diese verbessert Ackerboden und ist über viele Jahre stabil, ehe der Kohlenstoff langsam freigesetzt wird.

Wie so oft ist eine scheinbar simple Lösung letztlich keine gute: Bäume zu pflanzen hilft dem Klima nur bedingt, der Effekt sollte nicht überschätzt werden. Dennoch sind sie wichtig – vor allem wenn sie zu einem Wald heranwachsen, der vielen Tieren und Pflanzen Heimat gibt und nachhaltig Rohstoffe liefert. Noch besser ist es, das Potenzial der bestehenden zu nutzen. Indem sie geschützt, sorgsam bewirtschaftet und wo nötig an den Klimawandel angepasst werden – damit sie auch künftig erhalten bleiben.

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  • Quellen

Brancalion, P. H. S., Holl, K. D.: Guidance for successful tree planting initiatives. Journal of Applied Ecology 57, 2020

Estoque, R. C. et al.: Spatiotemporal pattern of global forest change over the past 60 years and the forest transition theory. Environmental Research Letters 17, 2022

Holl, K. D., Brancalion, P. H. S.: Tree planting is not a simple solution. Science 368, 2020

Kirschbaum, M. U. F. et al.: Is tree planting an effective strategy for climate change mitigation? Science of the Total Environment 909, 2024

Mo, L. et al.: Integrated global assessment of the natural forest carbon potential. Nature 624, 2023

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