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Aus Stammzellen: Frühstadien von menschlichen Embryonen im Labor erschaffen

Womöglich haben Forschende zum ersten Mal aus Stammzellen Frühstadien von menschlichen Embryonen geschaffen. Diese haben aber noch kein schlagendes Herz und auch kein Gehirn. Bislang gibt es allerdings noch keine offizielle wissenschaftliche Veröffentlichung, die dies bestätigt.
Menschliche Stammzellen
Bereits im August 2022 wurde bekannt, dass es dem Forscherteam der University of Cambridge gelungen war, mehrere Typen von Mäusestammzellen zu Embryo-Attrappen zusammenzusetzen, die sich in einer Nährlösung weiterentwickelten. In neuen Experimenten kamen wohl erstmals menschliche Stammzellen zum Einsatz (Symbolfoto).

Nach eigenen Angaben ist es einem Forschungsteam der University of Cambridge mit Hilfe von Stammzellen gelungen, Vorstufen von menschlichen Embryonen zu erschaffen. Sie sollen bis zu einem Stadium kultiviert worden sein, das knapp über das 14-tägige Entwicklungsstadium eines natürlichen Embryos hinausgeht. Das geht aus einem Bericht des britischen »Guardian« hervor. Das Forscherteam um die Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz hat seine Arbeit demnach während eines Plenarvortrags am 14. Juni 2023 auf der Jahrestagung der International Society for Stem Cell Research in Boston vorgestellt.

Die embryonalen Strukturen haben offenbar weder ein schlagendes Herz noch die Anfänge eines Gehirns, enthalten aber Zellen, aus denen sich normalerweise die Plazenta, der Dottersack, Vorläuferzellen der Keimzellen und der Embryo selbst bilden würden. Eine wichtige Frage ist, ob sie theoretisch das Potenzial haben, die Organbildung anzustoßen. »In jüngster Zeit haben Forschende Methoden entwickelt, um IVF-Embryonen 14 Tage lang in einer Petrischale am Leben zu erhalten, und diese Ergebnisse bestätigen, dass die Technologie nun verfügbar ist, um die ersten 14 Entwicklungstage außerhalb des Mutterleibs nachzubilden«, erklärte Ildem Akerman, Professor für funktionelle Genomik und Diabetes an der University of Birmingham dem Science Media Center (SMC).

Eine offizielle wissenschaftliche Publikation, die genauere Hintergründe zu den Experimenten geben könnte, gibt es bisher nicht. »Dies könnte ein wichtiger wissenschaftlicher Schritt sein«, sagt Alfonso Martinez Arias, Entwicklungsbiologe der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona und Dozent an der University of Cambridge gegenüber dem SMC. »Aber wir müssen die vollständige Studie und die Daten sehen, bevor wir solche Aussagen treffen können.«

Dem Team um Zernicka-Goertz sowie einer konkurrierenden Gruppe am Weizmann-Institut in Israel war es vergangenes Jahr bereits gelungen, synthetische Mausembryonen aus Stammzellen zu erschaffen. Die nun offenbar auf der Konferenz angesprochenen Experimente werfen ernste ethische und rechtliche Fragen auf, da die im Labor gezüchteten Embryonen nicht unter die geltenden Rechtsvorschriften vieler Länder fallen. So ist es vielerorts verboten, menschliche Embryonen über 14 Tage hinaus im Labor zu kultivieren. Die Richtlinien orientieren sich maßgeblich an einer Leitlinie der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) aus dem Jahr 2016. Demnach galt das Überschreiten der 14-Tage-Regel als unzulässige Forschungsaktivität.

2021 passte der ISSCR seine internationalen Leitlinien jedoch an: Durch künstliche Befruchtung oder aus menschlichen Stammzellen hergestellte menschliche Embryonen sollten künftig länger als die bisher maximal gängigen 14 Tage im Labor heranwachsen dürfen. Forscherinnen und Forscher sollten die Embryonen so lange im Labor kultivieren können, wie es dem jeweiligen Forschungszweck dient – allerdings nur nach strenger Prüfung. »Bis heute waren ein Embryo, der durch In-vitro-Fertilisation erzeugt wurde, und ›Embryomodelle‹, die aus Stammzellen erzeugt werden, zwei separate Dinge, da Letztere nicht die Fähigkeit besaßen, weiterzuwachsen oder sich einzunisten«, sagt Ildem Akerman. Die Autoren hätten möglicherweise diese Trennung durchbrochen. »Es liegt also an den einzelnen ethischen Komitees zu entscheiden, ob das erzeugte Gebilde ein ›Embryo‹ oder ein ›Embryomodell‹ ist und ob dem Gebilde erlaubt wird, über die 14-Tage-Grenze hinauszuwachsen«, erklärt Ildem Akerman. Eine Übertragung der synthetischen Embryonen auf eine Frau, um diese womöglich auszutragen, ist weltweit laut den aktuellen Richtlinien der ISSCR untersagt.

Allgemein hätten Modelle von menschlichen Embryonen, die aus Stammzellen gewonnen werden, ein großes Potenzial, sagt James Briscoe, stellvertretender Forschungsdirektor des Francis Crick Institute in London gegenüber dem SMC. »Sie könnten grundlegende Erkenntnisse über kritische Phasen der menschlichen Entwicklung liefern. Dabei handelt es sich um Phasen, die sehr schwierig zu erforschen sind, und es ist eine Zeit, in der viele Schwangerschaften scheitern.« Neue Erkenntnisse könnten laut Briscoe zu einem besseren Verständnis der Ursachen von Fehlgeburten führen.

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