Direkt zum Inhalt

Blütenpflanzen: Insektenschwund fördert Selbstbestäubung bei Pflanzen

Blütenpflanzen vermehren sich zunehmend über Selbstbestäubung. Anscheinend passen sie sich so an das Insektensterben an – setzen damit aber einen verheerenden Teufelskreis in Gang.
Acker-Stiefmütterchen
Das Veilchengewächs Viola arvensis, bekannt als Acker-Stiefmütterchen, ist in Europa weit verbreitet. Es ist in den zurückliegenden drei Jahrzehnten vermehrt zu Selbstbestäubung übergangen – wahrscheinlich, weil es immer weniger bestäubende Insekten gibt.

Acker-Stiefmütterchen bestäuben sich immer öfter selbst. Offenbar tut die Blütenpflanzenart das, weil es an Insekten mangelt, die Blütenpollen übertragen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam um Samson Acoca-Pidolle von der Université Montpellier. Die Wissenschaftler berichten darüber in der Fachzeitschrift »New Phytologist«.

Acoca-Pidolle und sein Team haben Acker-Stiefmütterchen (Viola arvensis) aus der Region rund um Paris untersucht. Sie zogen Pflanzen auf, deren Samen zwischen 1992 und 2001 gesammelt worden waren, und verglichen diese mit heute keimenden Exemplaren, die an den gleichen Orten gedeihen. Insgesamt analysierten sie mehrere hundert Acker-Stiefmütterchen aus vier verschiedenen natürlichen Populationen. Die Fachleute untersuchten das Erbgut der Gewächse und den Aufbau der Blüten; ermittelten die Größe der Blätter und das Pflanzengewicht; maßen die Menge des produzierten Nektars und beobachteten das Blühverhalten. Zudem brachten sie die Acker-Stiefmütterchen in speziellen Käfigen mit Hummeln zusammen – natürlichen Bestäubern der Pflanzen – und zählten, wie oft jede Blüte von den Insekten besucht wurde.

Laut den Studienergebnissen unterscheiden sich heutige Acker-Stiefmütterchen in zahlreichen Merkmalen von ihren früheren Artgenossen, die vor 20 bis 30 Jahren wuchsen. Sie bilden kleinere Blüten, die um etwa 10 Prozent an Größe eingebüßt haben, und produzieren rund 20 Prozent weniger Nektar, der bestäubende Insekten anlockt. Folgerichtig werden sie von Hummeln seltener aufgesucht. Auch zeigen sie deutlich öfter das Verhalten, sich ohne tierische Hilfe fortzupflanzen: Ihre Selbstbestäubungsrate hat in den zurückliegenden Jahrzehnten um fast 30 Prozent zugenommen. Diese Veränderungen waren in allen vier untersuchten Populationen nachweisbar.

Darwin lässt grüßen

Acoca-Pidolle und seine Gruppe vermuten, dass dahinter ein evolutionärer Prozess steckt: Die Pflanzen passen sich daran an, dass es immer weniger Blüten bestäubende Insekten gibt. In Deutschland beispielsweise ist die Biomasse an fliegenden Sechsbeinern innerhalb der letzten drei Jahrzehnte um 70 bis 80 Prozent zurückgegangen, wie Untersuchungen ergeben haben. Für das massenhafte Insektensterben gibt es viele Gründe: den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, den Umbruch von Wiesen zu Ackerland, die Entwässerung von Feuchtgebieten sowie das Verschwinden von Weidetieren; außerdem die flächendeckende Lichtverschmutzung sowie die Folgen des menschengemachten Klimawandels.

Wenn es an Sechsbeinern mangelt, die Pflanzen bestäuben, dann sind die Gewächse in ihrer Fortpflanzung beeinträchtigt, was ihr Überleben bedroht. Daraus entsteht der Selektionsdruck, sich ohne die Hilfe von Tieren fortzupflanzen, beispielsweise durch Selbstbestäubung. Dies umso mehr, da Pflanzen viele Ressourcen investieren müssen, um ihren Nektar herzustellen – Ressourcen, die umsonst ausgegeben sind, wenn keine Insekten existieren, die vom Nektar angelockt werden könnten. Es ist bekannt, dass Gewächse, die sich selbst befruchten, sehr häufig auf Inseln vorkommen, wo es an bestäubenden Tieren fehlt. Der Nachteil dieser Fortpflanzungsart liegt darin, dass sie die genetische Vielfalt reduziert und zu inzuchtbedingten Problemen führt.

Die Veränderungen, die Acoca-Pidolle und sein Team bei den Acker-Stiefmütterchen beobachtet haben, bringen einen Teufelskreis in Gang: Der Rückgang bestäubender Insekten führt zu schwindender Nektarproduktion der Pflanzen, was wiederum das Insektensterben beschleunigt. Es sei dringend geboten, dieser Abwärtsspirale entgegenzuwirken, schreiben die Forscherinnen und Forscher.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.