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Brückenunglück: Wie man große Schiffe von Brücken fernhält

Hätte man die Francis Scott Key Bridge in Baltimore besser vor einer Schiffskollision schützen können? Ein Überblick über die Maßnahmen, mit denen man Brücken gegen solche Unfälle absichert.
Eingestürzte Brücke in Baltimore.
Im Vergleich zu dem massiven Schiff sieht die Stahlkonstruktion der Brücke fragil aus. Vom Brückenpfeiler sind nur noch Teile der Basis übrig. Im Vordergrund sieht man ein mutmaßliches Schutzbauwerk.

Dass Schiffe gegen Brücken fahren, passiert erstaunlich oft. Meistens allerdings macht das keine großen Schlagzeilen. Erst im Februar 2024 rammte zum Beispiel ein 110 Meter langes Binnenschiff eine Eisenbahnbrücke über der Hunte, einem Nebenfluss der Weser. Solche Kollisionen können erheblichen Schaden anrichten und wichtige Verkehrswege für einige Zeit blockieren. Ungleich dramatischer aber sind Unfälle wie jener an der Francis-Scott-Key-Brücke in Baltimore, wo ein großes Containerschiff den Pylon einer Hochbrücke frontal getroffen und die gesamte Konstruktion zum Einsturz gebracht hat. Dieses Unglück wirft die Frage auf: Wie kann man die Bauwerke vor derartigen Kollisionen schützen?

Die Pfeiler sind der verwundbarste Teil von Brücken, die in vielen Teilen der Welt die Zufahrten großer Seehäfen überspannen. Das berühmteste Beispiel ist wohl die Golden Gate Bridge in San Francisco; solche Bauwerke haben Spannweiten von hunderten Metern. Um große Schiffe passieren zu lassen, müssen ihre Fahrbahnen in einer Höhe von 50 Metern und mehr über dem Wasser verlaufen. In vielen Fällen stehen ihre zentralen Pfeiler zu beiden Seiten des Fahrwassers – von jenem oft schmalen Bereich, der tief genug für große Schiffe ist.

Derartige Brücken gibt es in Deutschland übrigens nicht – Hamburg hat sich für Tunnel entschieden, und gegenüber von Bremerhaven und Wilhelmshaven, den beiden nächstgrößeren Hafenstädten, gibt es schlicht keine Ortschaften, die eine große Brücke rechtfertigen würden – sorry, Nordenham. Die meisten Brücken hier zu Lande überspannen Binnenwasserstraßen, auf denen die Größe der Schiffe durch die Länge der Schleusen begrenzt ist.

Francis-Scott-Key-Brücke vor der Kollision | In diesem Bild erkennt man die schmale Schürze um die Brückenpfeiler selbst sowie zwei der Kreiszellenfangedämme, die 150 Meter vor den Pfeilern im Flussbett verankert sind.

Zwischen den Pfeilern der Francis-Scott-Key-Brücke jedoch fahren bis zu 400 Meter lange Schiffe hindurch. Die »Dali« hatte gerade die beim Ablegen unterstützenden Hafenschlepper verabschiedet und fuhr schneller als erlaubt auf die enge Durchfahrt der Brücke zu. Plötzlich fiel der Antrieb aus – und ohne den Wasserstrom von den Antriebspropellern ist ein großes Schiff kaum noch steuerbar. Die »Dali« kam vom Kurs ab und rammte frontal einen der Brückenpylonen.

Brückenpfeiler können Schiffe stoppen

Viele große Brücken weltweit haben massive Schutzbauwerke, die solche Kollisionen verhindern oder dämpfen sollen. Die Francis-Scott-Key-Brücke dagegen war anscheinend nur durch relativ kleine Objekte geschützt, an denen das Schiff einfach vorbeifuhr. Die dünne Betonschürze um die Pfeiler selbst machte für den Aufprall des riesigen Schiffes keinen Unterschied mehr. Waren die Schutzbauwerke in Baltimore angesichts des Schiffsverkehrs unter der Brücke nicht angemessen ausgelegt?

Denn die Frachtschiffe, die einen großen Teil des Welthandels zwischen den Seehäfen hin- und hertransportieren, werden immer riesiger. Einerseits sind größere Schiffe ein Gewinn für die Sicherheit von Brücken: Sie verringern die Zahl der Schiffe, die die Brücke passieren müssen, und damit das Risiko von Unfällen. Doch wegen der zunehmenden Größe wird es wahrscheinlicher, dass Kollisionen verheerend enden. Denn je mehr Masse ein Schiff hat, desto mehr Kraft übt es bei einem Zusammenstoß auf einen Brückenpfeiler aus, und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser nachgibt.

Eine Möglichkeit, Brücken davor zu schützen, in sich zusammenzukrachen, ist daher, die Pfeiler stabil genug zu bauen. So sind moderne Brückenkonstruktionen an Schifffahrtsstraßen heute darauf ausgelegt, immense Kräfte auszuhalten. Die Pfeiler der 350 Meter langen Rosario-Victoria-Brücke in Argentinien können zum Beispiel eine Kollisionskraft von rund 120 Millionen Newton überstehen. Das entspricht dem Aufprall eines Schiffes mit 43 000 Tonnen Tragfähigkeit bei neun Knoten – etwa ein knapp 200 Meter langes Frachtschiff, das sich etwas langsamer als die dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit bewegt.

Dabei gibt es allerdings zwei Schwierigkeiten. Die Regeln, welche Kollisionen Brückenpfeiler auszuhalten haben, gehen auf ein ganz ähnliches Unglück zurück. Am 9. Mai 1980 traf bei schlechter Sicht der Massengutfrachter »Summit Venture« einen Pfeiler der Sunshine Skyway Bridge in Florida. Ein fast 400 Meter langes Brückensegment stürzte hinab, 35 Menschen starben. In den Folgejahren erarbeiteten Behörden und Fachorganisationen Regeln für solche Bauwerke. Doch die Brücke in Baltimore wurde bereits 1977 erbaut. Möglicherweise ist für diese Brücke gar nicht bekannt, welche Aufprallkräfte sie überstehen kann.

Physikalische und wirtschaftliche Grenzen

Zudem trifft der Ansatz, einfach die Brückenpfeiler kollisionsresistent zu machen, auf physikalische Grenzen. Das zeigt auch das Unglück in Baltimore deutlich. Durch den Aufprall des 116 000-Tonnen-Schiffs mit einer Geschwindigkeit von rund 8,5 Knoten wirkten bereits Kräfte von vermutlich rund 200 Millionen Newton auf den Brückenpylon. Videos zeigen eindrücklich, dass das riesige Schiff die Betonkonstruktion beinahe beiläufig beiseitewischte. Ein Pfeiler, der massiv genug ist, um einen solchen Zusammenstoß zu überstehen, wäre aufwändig zu bauen und entsprechend teuer – und die Dali ist mit einer Länge von 300 Metern und 116 000 Tonnen Tragfähigkeit nur halb so groß wie die weltgrößten Containerschiffe.

Schutzbauwerk am Pylon der Golden Gate Bridge | Deutlich sichtbar ist hier die massive ovale Betonkonstruktion, die Schiffe bei Kollisionen vom Pfeiler selbst weglenken soll. Der zweite Pylon im Hintergrund steht an der Küste.

Eine Brücke zu bauen, die jede denkbare Kollision übersteht, ist deswegen nicht möglich. Die einfachste Variante, die Pfeiler einer Hochbrücke vor außer Kontrolle geratenen Schiffen zu schützen, besteht daher darin, sie an Land zu platzieren. Diese Form findet man bei vielen großen Bauwerken, die Fahrrinnen für sehr große Schiffe überbrücken. Dadurch wird die Spanne zwischen zwei Pylonen allerdings länger und die Konstruktion aufwändiger – ab einer gewissen Breite des Gewässers ist es schlicht nicht mehr möglich.

Eine weitere Option ist deswegen, künstliche Inseln für die Brückenpfeiler zu errichten. Diese Möglichkeit wählte man beim Wiederaufbau der Sunshine Skyway Bridge, deren Pfeiler nun auf festem Boden stehen. Allerdings bietet das keine Garantie: Große Containerschiffe sind so massiv, dass sie sich ein ganzes Stück auf und in eine Böschung hinein schieben können, wie das Containerschiff Ever Given, dessen Bug aus der Böschung des Suezkanals herausgebaggert werden musste. Diese Gefahr besteht auch in Deutschland. Deswegen wurde zum Beispiel an der Eisenbahnbrücke Hochdonn über den Nord-Ostsee-Kanal, deren Pfeiler am Ufer stehen, die Böschung verstärkt.

Wie war die Francis-Scott-Key-Brücke geschützt?

Brücken, die nicht auf Land oder gut gesicherten künstlichen Inseln stehen, haben stattdessen meist Schutzkonstruktionen um ihre Pfeiler, die den Aufprall dämpfen oder ableiten sollen. Die einfachste Variante solcher Schutzkonstruktionen sind erweiterte Pfeilerplattformen, die einige Meter weit von den Brückenpylonen abstehen. Sie haben meist dreieckige Fronten, wodurch auftreffende Schiffe von den Pfeilern weggeleitet werden. Sie bohren sich dann in den Bug des auftreffenden Schiffes, so dass Pfeilerplattform und Schiffsbug als Knautschzone einen Teil der Kollisionsenergie aufnehmen, bevor der Pfeiler getroffen wird. Die Pfeiler der Francis-Scott-Key-Brücke sind jedoch, wie Bilder der Brücke zeigen, nur von einer schmalen Betonschürze umgeben, die bloß bei kleineren Kollisionen helfen.

Sunshine Skyway Bridge | Nach der verheerenden Kollision von 1980 dauerte es sieben Jahre, die Sunshine Skyway Bridge in Florida wiederaufzubauen. Heute schützen massive Bauwerke, so genannte Kreiszellenfangedämme, die Brückenpfeiler, die außerdem auf künstlichen Inseln stehen.

Ebenfalls als Knautschzone und zum Ablenken von Schiffen dienen Schutzbauten wie schwimmende Plattformen, Dalben, betongefüllte Rohre oder gar mit Stahlstreben oder Betondeckeln verbundene Pfahlreihen, die rund um einen Brückenpfeiler in den Grund gerammt werden. Ihre Aufgabe ist nicht, den Anprall eines Schiffes abzuhalten, sondern sich zu verformen und dabei Energie aufzunehmen. Das Gleiche gilt für die große Variante solcher Einrichtungen, die so genannten Kreiszellenfangedämme. Das sind mehrere Meter messende runde oder ovale Konstruktionen aus Spundwänden, gefüllt mit Schotter und abgedeckt mit einer starren Betonplatte, die vor Brückenpfeilern im Gewässergrund verankert sind. Diese massiven Konstruktionen können selbst große Schiffe bremsen oder ablenken.

Solche Bauwerke sind bei vergleichbaren Brücken weit verbreitet. Auf Bildern der Francis-Scott-Key-Brücke sieht man ebenfalls vier runde Konstruktionen etwa 150 Meter vor und hinter den Brückenpfeilern im Wasser – vermutlich Kreiszellenfangedämme, die Kollisionen abwenden sollen. Doch sie erscheinen zu klein und vor allem zu weit von den Pfeilern entfernt, um die Brücke zu schützen. Das ist ein bisschen wenig für einen Hafen, der zu den zehn wichtigsten in den USA zählt und von den größten Containerschiffen der Welt angelaufen wird. Die Frage, ob die Schutzmaßnahmen ausreichend waren, wird vermutlich eine bedeutende Rolle bei der Aufarbeitung des Unglücks spielen.

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