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Teilchenbeschleuniger: Higgs-Fabrik für 16 Milliarden Euro würde LHC in den Schatten stellen

Eine Studie zum Future Circular Collider zeigt, wo und wie der gigantische Teilchenbeschleuniger gebaut werden könnte. Doch der Plan ist noch längst nicht abgesegnet.
Teilchenbeschleuniger
Um Neues auf dem Feld der Physik zu entdecken, fordern viele Fachleute einen neuen Teilchenbeschleuniger.

Europa treibt die Pläne zum Bau eines 91 Kilometer langen, 16 Milliarden Euro teuren Teilchenbeschleunigers unter französischem und schweizerischem Gebiet voran. Mit der Maschine könnten Forschende das Higgs-Boson im Detail untersuchen. Nachdem der Vorgänger, der 27 Kilometer lange Large Hadron Collider (LHC) des CERN, jedoch keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse für die Physik gebracht hat, müssen Fachleute die Geldgeber erst davon überzeugen, dass sich solch eine enorme Investition lohnt.

Die Einzelheiten des Plans hat das CERN jetzt in einem Zwischenbericht zusammengetragen. Dabei ging es zunächst um die Machbarkeit des Future Circular Collider (FCC), also um die Frage, wo und wie eine solche Maschine gebaut werden könnte. Es hätten sich keine technischen oder wissenschaftlichen Hürden gefunden, die den Bau verhindern würden, sagte der Präsident des CERN-Rats Eliezer Rabinovici bei einer Pressekonferenz am 5. Februar 2024.

Future Circular Collider | Der FCC soll einen Umfang von 91 Kilometern haben – die maximal denkbare Größe für einen Kreisbeschleuniger im Genfer Seebecken.

Damit könnte der Bau der Maschine bereits 2033 beginnen. Der Tunnel in 200 Meter Tiefe würde etwa eine Fläche von der Größe der Stadt Chicago umschließen und wäre durch vier Experimentierhallen unterbrochen. Der CERN-Rat hat den Zwischenbericht am 2. Februar geprüft, jedoch nicht veröffentlicht. Die vollständige Studie soll 2025 publiziert werden, und die Entscheidung für oder gegen das Projekt wird voraussichtlich noch vor 2028 fallen.

Teilchen zertrümmern

Die geplante Maschine soll ab 2045 Elektronen mit ihren Gegenstücken aus Antimaterie, den Positronen, kollidieren lassen, um etwa eine Million Higgs-Bosonen zu erzeugen. Nach Ansicht vieler Physikerinnen und Physiker bietet eine genauere Untersuchung dieses 2012 entdeckten Teilchens die beste Chance, Ungereimtheiten im Standardmodell zu finden. Letzteres ist ein äußerst erfolgreiches, aber unvollständiges Modell der Elementarteilchen und der zwischen ihnen wirkenden Kräfte.

2020 forderten Physiker eine Studie zur Durchführbarkeit des FCC im Rahmen der Europäischen Strategie für Teilchenphysik, einem Programm, das Forschungsvorhaben auf dem Fachgebiet nach Prioritäten einstuft. Die Generaldirektorin des CERN Fabiola Gianotti erklärte gegenüber der Presse, das Programm sehe das FCC als das überzeugendste aller untersuchten wissenschaftlichen Instrumente an.

Der Bau des FCC ist allerdings noch nicht beschlossen. Ein großer Teil der 16 Milliarden Euro werde durch das bestehende CERN-Budget gedeckt, sagte Gianotti. Für das Projekt müssten jedoch auch diejenigen europäischen Staaten Geld beisteuern, die Vollmitglieder des CERN sind, sowie weitere Mitglieder wie die USA und Japan. Wie hoch diese Kosten sein würden, wurde in der Pressekonferenz nicht erwähnt.

Weitere Megabeschleuniger

Unterdessen sind weltweit weitere Entwürfe zu »Higgs-Fabriken« in Arbeit. Die japanische Regierung hat Interesse an dem seit Langem geplanten International Linear Collider bekundet, während China eine ringförmige Maschine namens Circular Electron Positron Collider entwickelt. Laut Gianotti hat die Europäische Strategie für Teilchenphysik festgestellt, dass der FCC ein größeres physikalisches Potenzial als ein Linearbeschleuniger hat, weil er Higgs-Bosonen mit einer höheren Rate erzeugen kann. Zudem ließen sich dieselben Tunnel später für eine noch energiereichere Maschine verwenden, die Protonen zusammenstoßen lässt.

Nicht alle Fachleute befürworten die vom CERN vorgeschlagene Anlage, so etwa die Teilchenphysikerin Donatella Lucchesi von der Universität Padua: »Ich glaube nicht, dass das für unsere Gemeinschaft gut ist, weder aus wissenschaftlichen noch aus anderen Gründen.« Lucchesi untersucht mit einem Team eine alternative Technologie für zukünftige Teilchenbeschleuniger, die Myonen statt Elektronen oder Protonen kollidieren lässt.

»Wir haben im Moment keine klaren theoretischen Anhaltspunkte, wonach wir suchen sollten«Fabiola Gianotti, Generaldirektorin des CERN

Der Bau des FCC würde das CERN laut Gianotti nicht daran hindern, sich auch Myon-Beschleunigern zu widmen. Einen solchen Beschleuniger hatte ein einflussreiches Gremium von US-Wissenschaftlern im Dezember 2023 für sinnvoll erklärt. Myonen sind viel massereicher als Elektronen, was Kollisionen mit höherer Energie ermöglicht. Aber noch weiß niemand, ob der Bau eines Myon-Beschleunigers überhaupt durchführbar ist. »Natürlich werden wir jetzt mit unseren US-Kollegen zusammenarbeiten, wenn sie den Bau eines neuen Beschleunigers in den USA planen, aber der Zeitplan ist ein völlig anderer als der des FCC«, sagte Gianotti.

Einige Fachleute argumentieren, die Kosten für den Bau solcher Megabeschleuniger überstiegen ihren Nutzen – vor allem, wenn die Theorie keine eindeutigen Hinweise dafür liefert, was entdeckt werden könnte. »Es stimmt, dass wir im Moment keine klaren theoretischen Anhaltspunkte haben, wonach wir suchen sollten«, sagte Gianotti. Aber das sei vielmehr ein Argument für den Bau einer neuen Maschine: »Die Instrumente werden es uns ermöglichen, große Fortschritte zu machen und die richtigen Fragen zu stellen.«

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