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Meeresökologie: Die Invasion der giftigen Feuerfische

Rotfeuerfische sind attraktiv, aber giftig - und sie gefährden Amerikas Korallenriffe. Nun sollen Feinschmecker zu ihrer Bekämpfung eingesetzt werden.
Rotfeuerfisch

Stephanie Green tauchte ihre Hände – geschützt von dicken schwarzen Handschuhen – in ein Kühlbecken mit Rotfeuerfischen. Geschickt griff sie um die 18 Giftstachel der Rückenflossen herum, zog eines der Tiere heraus und legte es auf den Tisch. Dann maß sie seine Größe. Am Tisch daneben zerschnitten freiwillige Helfer die braun, rot und weiß gestreiften Fische in Stücke, um daraus Ceviche zuzubereiten und den Zuschauern zu servieren. Während diese am Essen knabberten, tummelten sich ganze Teams von Sporttauchern in der Bewertungszone. Sie beäugten den Fang der anderen und debattierten darüber, wer wohl den mit mehr als 3500 US-Dollar dotierten Preis des Rotfeuerfischfang-Derbys 2013 in Key Largo in Florida mit nach Hause nehmen würde.

"Bei der Anmeldung ist es ein furchtbares Gedränge, wenn die Teams mit ihren Kühlboxen kommen und alle die Ersten sein wollen", stöhnt Green, Meeresökologin von der Oregon State University in Corvallis und Chefwissenschaftlerin des Wettbewerbs. Letztes Jahr im September hatte sie hier zusammen mit den anderen Punktrichtern 707 Rotfeuerfische verschiedenster Größe gezählt, von kleiner als ein Golfball bis groß wie zwei Fußbälle.

Der Wettbewerb ist Teil eines offiziellen Programms gegen die Einwanderung fremder Arten – die inzwischen eines der wichtigsten Themen im Naturschutz ist. Seit Rotfeuerfische (Pterosis volitans) zum ersten Mal in den 1980er Jahren an der Ostküste der USA auftauchten, verschlingen die ursprünglich aus dem Pazifik stammenden, gefräßigen Räuber in den Korallenriffen von North Carolina bis Venezuela jedes Jahr Unmengen anderer Fische. Die Behörden suchen seitdem dringend Möglichkeiten, um zum Schutz der Riffe die Eindringlinge zu kontrollieren  darunter auch die ungewöhnlichen Wettbewerbe in einigen Küstenorten der Region.

Neugierig | Die Jagd auf die Rotfeuerfische wird durch eine spezielle Verhaltensweise der Tiere erleichtert: Sie schwimmen häufig aus Neugier oder zur Revierverteidigung auf Taucher zu.

Das Ganze ist allerdings ein ziemliches Glücksspiel. Bisherige Aktionen zum Fang eingeschleppter Arten wie etwa der asiatischer Pythons in Florida, waren nur mäßig erfolgreich. Laut Greens Daten lässt sich jedoch die Population der Rotfeuerfische schon durch einen einzigen Fangtag zumindest lokal verringern. Nach ihren Ergebnissen wie jenen anderer Aktionen könnte ein kleines Preisgeld gepaart mit Expertenunterstützung und Öffentlichkeitsarbeit dabei helfen, die Eindringlinge in Schach zu halten. "Wir können die Rotfeuerfische nicht im ganzen Ozean kontrollieren, aber wir können so zumindest die lokale Situation verbessern", meint James Morris, der als Ökologe an der US National Oceanic and Atmospheric Administration in Beaufort in North Carolina arbeitet.

Vom Aquarium ins fremde Meer

Wie so oft fing es auch bei den Rotfeuerfischen klein an. Normalerweise leben sie im Westpazifik, im Indischen Ozean und im Roten Meer, wo ihre Feinde und Konkurrenten ihre Zahlen im Zaum halten. Genetische Analysen lassen darauf schließen, dass vor Jahren vor der Küste Floridas – entweder aus Versehen oder absichtlich – etwa ein Dutzend der Fische aus Aquarien ins Meer gelangt sind. Seitdem ist die Population regelrecht explodiert. Rotfeuerfische vermehren sich ständig: Sie produzieren jährlich zwei Millionen Eier und haben in ihrer neuen Heimat nur wenig zu befürchten, da ihre Räuber fehlen.

"Anfangs fanden alle die neuen Fische einfach nur lustig und hübsch", erinnert sich der Naturschutzbiologe Mark Vermeij vom Caribbean Marine Biological Institute der Insel Curaçao in der Karibik. Aber diese Einstellung änderte sich, als die Tiere überhandnahmen. "Sie waren relativ schnell überall – wie Kakerlaken." Seit die Rotfeuerfische zum ersten Mal im Jahr 1985 in der Nähe von Fort Lauderdale in Florida gesehen wurden, haben sie mehr als vier Millionen Quadratkilometer besiedelt, und zwar in der ganzen Karibik, dem Golf von Mexiko und entlang der gesamten Atlantikküste im Süden der USA. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass ihre Ausbreitung irgendwie stoppen würde. Meeresökologen befürchten nun die Ausweitung der Invasion bis Uruguay, wo sie nur durch die kalten Wassertemperaturen im Winter aufgehalten würden.

Das könnte dann zu einer aus ökologischer Sicht schlimmsten Einwanderung von Fischen im Westatlantik werden, befürchtet Mark Hixon, der als Meeresökologe an der University of Hawaii in Manoa arbeitet und Greens Chef an der Oregon State University ist. Vor der Küste von North Carolina und den Bahamas leben die Fische 5- bis 15-mal dichter aufeinander als in ihrem natürlichen Lebensraum und erreichen stellenweise Dichten von 400 Fischen pro Hektar.

Die Invasion könnte die Biodiversität im Ökosystem der Korallenriffe wesentlich verändern. Rotfeuerfische fressen alles, was in ihren Schlund passt – und davon sehr viel. Eine DNA-Analyse des Mageninhalts von 157 dieser Fische aus der mexikanischen Karibik ergab 43 verschiedene Krebs- und 34 Fischarten, einschließlich Papageienfisch, Französischer Grunzer und karibischer Zackenbarsch – allesamt wichtig für die Ernährung der ansässigen Bevölkerung. Ohne natürliche Feinde frisst ein Rotfeuerfisch bis zu 79 Prozent der Jungfische eines Riffs in nicht einmal fünf Wochen.

Attraktiver, aber zerstörerischer Riffbewohner | Das Gift der Fische befindet sich als Sekret auf der Haut der Rückenstacheln. Es kann starke Schmerzen hervorrufen, ist aber nicht tödlich, wenn es auf die Haut von Tauchern gelangt.

Dieser Fressrausch kann zu noch größeren Problemen führen. Einige ihrer Beutefische reinigen normalerweise die Korallenriffe von Algen und sind in der Karibik ohnehin überfischt – ohne sie drohen die Korallen von den Algen überwuchert zu werden. Jesús Ernesto Arias-Gonzàlez vom Zentrum für Sonderforschungsbereiche des Instituto Politécnico Nacional in Merida in Mexiko untersuchte dieses Szenario mit Hilfe einer Computersimulation. Laut seinen Berechnungen würde eine andauernde Invasion der Rotfeuerfische die Biomasse der Korallen in der Karibik innerhalb von zehn Jahren um etwa ein Zehntel verringern.

Außer Kontrolle

Green wollte ursprünglich gar nicht an Rotfeuerfischen arbeiten. Im Jahr 2008 hatte sie gerade ihre Doktorarbeit im Bereich Naturschutz begonnen und flog mit ihrer Chefin Isabelle Côté, einer Biologin von der Simon Fraser University in Burnaby, Kanada auf die Bahamas. Sie besuchten dort einen Studenten, der überall in ihren Forschungsarealen Rotfeuerfische entdeckt hatte. "Keiner wusste etwas über sie, nicht einmal woher sie kommen oder was sie fressen", erinnert sich Green.

Green und Côté interessierte es, ob sich die einheimischen Fischbestände wieder erholen, wenn man die Rotfeuerfische entfernt. Im Dezember 2009 steckten sie dazu 24 Riffabschnitte ab und engagierte Taucher, die eineinhalb Jahre lang jeden Monat die Exoten herausholen sollten. Je nach Ort müssten sie 25 bis 92 Prozent der Eindringlinge absammeln, damit die Übriggebliebenen nicht wieder zu viele der Beutetiere fraßen. Am Ende des Experiments waren die einheimischen Fische zu 5 bis 70 Prozent wieder in die Riffe zurückgekehrt und somit der erhoffte Schutz einigermaßen erreicht.

Die zwei Forscher versuchten nicht als Einzige, die Rotfeuerfische wieder zu reduzieren. Schon Anfang des Jahres hatte die Reef Environmental Education Foundation (REEF) in Key Largo in Florida zu richtigen Wettbewerben auf den Bahamas aufgerufen, um die Bevölkerung über die Gefahren dieser Fischinvasion zu sensibilisieren. Green hatte schon während ihrer Doktorarbeit mit ihnen zusammengearbeitet und wurde in die Planung der ersten Jagdzüge mit einbezogen.

Später wollte sie dann im Rahmen der Wettkämpfe untersuchen, ob ein lokal begrenztes Befischen überhaupt einen Einfluss hat. Mit der Hilfe Freiwilliger, die mit Atemgerät und Schnorchel ausgerüstet waren, zählte Green in den Jahren 2012 und 2013 die Rotfeuerfische an 60 Stellen jeweils vor und nach den Wettstreits von Key Largo und den Bahamas. "Die Dichte der Rotfeuerfischpopulation wurde an den Fangstellen drastisch reduziert", schließt sie aus den ersten Auswertungen. In einer Region von 100 bis 150 Quadratkilometern waren es mehr als 60 Prozent weniger. "Das ist wie beim Unkrautjäten im Garten", sagt sie. "Man kann es einfach nicht ausrotten; aber unter einem bestimmten Level stört es nicht mehr."

Innerhalb von sechs Monaten hatten die Rotfeuerfische die abgesteckten Stellen zwar wieder zurückerobert. Die Tiere waren aber nun wesentlich kleiner, was die Belastung für das Riff verringerte, weil kleinere Fische weniger fressen, da sie eben auch nur kleinere Fische jagen können und weil sie weniger Nachkommen haben. Laut Ted Grosholz, einem Meeresökologen von der University of California in Davis, unterstützen die wissenschaftlichen Daten von Green und der REEF die Idee, mit gezielten Jagdtagen die Bestände der Rotfeuerfische in ausgewählten Bereichen wirksam zu kontrollieren.

Rotfeuerfisch | Ursprünglich stammt die Art aus dem Pazifik. Wegen ihres attraktiven Aussehens ist der Rotfeuerfisch unter Aquarianern allerdings sehr beliebt. Leider werden die Fische bisweilen einfach im Meer ausgesetzt, wenn die Halter ihrer überdrüssig wurden. Außerdem werden sie offenbar durch Hurrikane über große Distanzen verfrachtet. Insgesamt verdanken die Feuerfische der stürmischen Hilfe fast die Hälfte ihres neu gewonnenen Verbreitungsgebiets und einen Bestandszuwachs um mindestens 15 Prozent (Global Change Biology 21, S. 2249–2260, 2015).

Die Daten passen auch zu den Ergebnissen anderer Aktionen. Als die Fische im Jahr 2009 in den niederländischen Territorien der Karibik auftauchten, fingen Freiwillige sofort an, sie mit Harpunen aus dem Gebiet um die Insel Bonaire herauszuholen. Im benachbarten Curaçao wurde dagegen nichts unternommen. Laut Vermeij und seinen Kollegen war nach zwei Jahren in den befischten Gebieten die Rotfeuerfischbiomasse nur noch ein Drittel so hoch, wie in den Gebieten ohne Fischfang und etwa ein Viertel so hoch wie in Curaçao.

Ziel erreicht

Die Jagdwettbewerbe auf Rotfeuerfische waren bisher wesentlich erfolgreicher als andere Aktionen zur Kontrolle invasiver Spezies. Im Jahr 2013 veranstaltete die Florida Fish and Wildlife Conservation Commission den ersten "Python-Challenge". Bei diesem Event mit Geldpreisen machten einen Monat lang professionelle Jäger und Amateure Jagd auf Tigerpythons (Python molurus bivittatus). Die Schlangen waren aber nur schwer zu fangen, weil sie in Floridas dichter Vegetation schlecht zu sehen waren. Die Teilnehmer fingen insgesamt nur 68 Exemplare bei einer Gesamtpopulation von geschätzt 30 000 bis 100 000 Tieren.

Nach Meinung von Jarson Goldberg, einem Biologen vom US Fish and Wildlife Service in Arlington in Virginia, könnten die längerfristigen Erfolge der Jagdwettbewerbe verbessert werden, wenn die Erkenntnisse aus der Forschung bei der Planung beachtet würden. Die Organisatoren müssten vorab berechnen, wie viele Tiere entfernt werden sollen, ob es besser ist, ältere oder größere Exemplare zu fangen und ob die Populationsdichte die Gesundheit der Tier beeinflusst. Dieses Wissen könnte dann dabei helfen, durch klare Jagdvorgaben Probleme zu vermeiden, wie sie beispielsweise in Australien bei der Jagd auf Rotfüchse (Vulpes vulpes) aufgetreten sind. So wurde beim Victorian Fox Bounty Trial 2002-2003 zwar zuerst ein Fünftel der Rotfüchse des Landes eliminiert – das förderte letztendlich aber sogar das Wachstum der Fuchspopulation: Die am Leben gebliebenen Tiere vermehrten sich stärker, weil sie zwischenzeitlich weniger Fresskonkurrenten hatten.

Geldanreize können auch Amateure zum Mitmachen bewegen. Im Nordwestpazifik erhalten Angler vier bis acht US-Dollar für jedes Exemplar eines Ptychocheilus oregonensis, eines räuberischen Karpfenfischs, der insbesondere junge Lachse jagt. Die Initiative hat dazu geführt, dass inzwischen mehr als 3,9 Millionen dieser Fische aus dem Wasser geholt wurden und die Lachsverluste um 40 Prozent verringert wurden.

Nach Goldbergs Meinung könnte die Auswertung von Daten der Rotfeuerfischjagden zeigen, wie oft und wann solche Aktionen an den einzelnen Orten veranstaltet werden sollten. Es wären aber noch weitere Schritte notwendig, wie zum Beispiel die Fischindustrie zu ermutigen, Rotfeuerfische in der Gastronomie bekannter zu machen. Die Invasion der Rotfeuerfische und der Erfolg der Jagdwettbewerbe haben mittlerweile zu Veränderungen in Floridas Politik geführt. Im August wurden die staatlichen Jagdbeschränkungen von den Regulierungsbehörden für Wildtiere gelockert, und Taucher dürfen nun Kreislauftauchgeräte benutzen, so dass sie länger unter Wasser bleiben und mehr Rotfeuerfische fangen können. Außerdem dürfen die Wettbewerbsteilnehmer Fische nun auch in bisher verbotenen Gebieten mit Speeren fangen. "Damit Meeresschutzzonen auch als Naturschutzzonen funktionieren können, muss ihre Biologie und Ökologie maximal erhalten bleiben, was einfach die Kontrolle der Rotfeuerfische nötig macht", sagt Morris.

Nachdem Greens Ergebnisse in die richtige Richtung zeigen, möchte sie nun weitere Daten auswerten, einschließlich die der Veranstaltung in Key Largo vom 13. September 2014. Wenn sie den Tauchern davon erzählt, spornt sie diese damit sogar ein bisschen an, findet sie. "Bei den Wettkämpfen herrscht ein echtes Gemeinschaftsgefühl. Alle glauben an den Sinn der Aktion, und dass die Invasion so eingedämmt werden kann."

Der Artikel erschien unter dem Titel "Bounty hunters" in Nature 513, S. 294–295, 2014.

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