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Gendermedizin: Ärztliche Ausbildung soll geschlechtersensibel werden

Männliche Versuchstiere, männliche Studienteilnehmer – der männliche Patient ist immer noch die Norm. Mit einer Reform der ärztlichen Ausbildung will die Bundesregierung diese Schieflage beseitigen.
Gendermedizin Symbolbild
Die »Gendermedizin« soll Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland sind Frauen, dennoch ist in der Medizin der männliche Patient die Norm. In der Forschung werden oft nur männliche Mäuse eingesetzt. Wenn neue Medikamente getestet werden, geschieht dies in der ersten Studienphase ebenfalls in der Regel an gesunden Männern. »Der Patient ist in der deutschen Sprache männlich, und so werden alle erst einmal behandelt«, sagt die Leipziger Herzchirurgin Sandra Eifert, die ein Buch darüber geschrieben hat, warum Frauenherzen anders schlagen. »Im Moment bewegt sich auf diesem Gebiet aber extrem viel«, beobachtet sie. Dies sei eine positive Entwicklung, die Hoffnung mache.

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung heißt es: »Wir berücksichtigen geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung und bauen Diskriminierungen und Zugangsbarrieren ab.« Die »Gendermedizin« werde Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden, lautet ein Ziel der Bundesregierung. Derzeit wird nach Angaben der Bundesärztekammer die Approbationsordnung geändert, um das Fach Geschlechtersensible Medizin verpflichtend zu verankern. Profitieren sollen alle, denn auch bei Männern werden vermeintlich typische Frauenkrankheiten wie Osteoporose oder Depressionen häufig nicht frühzeitig erkannt und behandelt.

»Der Patient ist in der deutschen Sprache männlich, und so werden alle erst einmal behandelt«Sandra Eifert, Herzchirurgin

»Bei Geburten lautet die erste Frage: Ist es ein Mädchen oder ein Junge?«, sagt Eifert. Später werde so getan, als seien alle gleich. Dabei wissen gerade Ärzte, wie unterschiedlich Männer und Frauen in ihrer Biologie sind. Und dass zwischen dem biologischen Geschlecht (Sex) und dem soziokulturellen Geschlecht (Gender) unterschieden werden muss. Die geschlechtersensible Medizin berücksichtigt zum Beispiel auch Trans-Menschen und non-binäre Personen.

Das Institut »Gender in Medicine« ist bereits seit 2007 eine eigenständige Einrichtung der Berliner Charité, allerdings hat die Mehrheit der Hochschulen bisher keine solchen Institute. In Magdeburg hat die Medizinerin Ute Seeland am 1. März eine neue Stiftungsprofessur für Geschlechtersensible Medizin übernommen, nach Angaben der Universität Magdeburg die erste Professur dieser Art in Vollzeit und mit klinischer Anbindung.

Bis heute sei das weibliche Geschlecht in Studien unterrepräsentiert, kritisiert Seeland. »Frauen einzubinden gilt als kompliziert, da ihre Reaktionen auf Medikamente hormonell bedingt variieren können«, erläutert sie. Mittlerweile wachse aber das Bewusstsein dafür, dass es wichtig sei, Diagnose, Therapie und Prävention an die unterschiedlichen hormonellen Phasen anzupassen. »Es gibt eben nicht die eine Frau«, betont Seeland. Auch dank sozialer Medien seien viele Menschen inzwischen besser aufgeklärt, zum Beispiel über die Themen Schwangerschaft und Menopause.

Wegen ihrer hormonellen Unterschiede erkranken Frauen und Männer anders, zeigen unterschiedliche Symptome beziehungsweise sind in unterschiedlichem Alter besonders gefährdet für bestimmte Krankheiten. Dies ist etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Herzinfarkt bereits relativ gut erforscht. Weil die herkömmliche Diagnostik am Mann orientiert sei, werde bei Frauen häufig verzögert diagnostiziert, beklagt die Herzchirurgin Eifert: »Wenngleich auf Grund der verbesserten Diagnostik und Therapie die Sterblichkeit nach Herzinfarkt in Deutschland in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken ist, liegt sie bei Frauen fast doppelt so hoch wie bei Männern.« Hintergrund könnte sein, dass Studierende über viele Jahre die typischen Symptome für einen Herzinfarkt beim Mann kennen lernen – nämlich starke Schmerzen in der Brust, die ausstrahlen können, und Atemnot. Frauen haben aber oft ganz unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit oder Schwäche.

Einfluss auf die Entstehung und Verhinderung von Krankheiten nehmen die Hormone. »Frauen sind über viele Jahre durch die weiblichen Geschlechtshormone gut vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschützt. Mit der Menopause nehmen die Spiegel dieser Hormone ab und dieser Schutz ebenfalls«, erläutert Eifert.

»Frauen einzubinden gilt als kompliziert, da ihre Reaktionen auf Medikamente hormonell bedingt variieren können«Ute Seeland, Gendermedizinerin

Tendenziell hätten Männer durch das Testosteron noch einen anderen biologischen Vorteil. »Sie können emotionalen Stress besser ausblenden und besser verarbeiten. Sie sind stressresistenter«, erklärt die Medizinerin. Frauen reagierten dagegen stärker auf emotionalen Stress. »Beim Syndrom des gebrochenen Herzens sind 95 Prozent der Betroffenen Frauen und 90 Prozent über 50 Jahre alt.« Wegen des Östrogens in der fruchtbaren Phase haben Frauen laut Eifert meist ein besseres Immunsystem, ab der Menopause jedoch steige unter anderem das Risiko für Bluthochdruck enorm an. Der Cholesterinwert gehe in den Wechseljahren ebenfalls häufig nach oben.

In mehreren Bundesländern haben sich die Landesärztekammern das Thema geschlechtersensible Medizin auf die Tagesordnung gesetzt. Die Ärztekammer Niedersachsen mit zwei Frauen an der Spitze will dafür werben, dass das Thema verstärkt in Fortbildungen angeboten wird. Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker ist Lungenfachärztin und Schlafmedizinerin. Auch in ihrem Fachgebiet seien über Jahre Frauen zu wenig beachtet worden, sagt sie. Schnarchen mit Atemaussetzer hätte lange als Männerkrankheit gegolten. »Inzwischen stellen wir fest, dass Frauen genauso häufig krankhaft schnarchen, sie sind nur im Schnitt zehn Jahre älter.« In Gesprächen mit ihrer Ärztin und ihrem Arzt berichteten die Frauen aber oft bloß von Abgeschlagenheit, sagt Wenker. Oft würde dies dann als typische Wechseljahresbeschwerden abgetan und nicht richtig diagnostiziert. (dpa/AnL)

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