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Gletscher: So schnell kann Eis reißen

Das Pine-Island-Eisschelf in der Westantarktis gehört zu den kritischen Regionen der Erde im Klimawandel. Messungen zeigen, wie schnell sich dort Spalten bilden können.
Eine tiefe Spalte zieht sich durch eine ausgedehnte, weiße Eisfläche des Pine-Island-Schelfeises, der Himmel ist blau, rechts im Hintergrund sieht man das blaue Meer.
Das Pine-Island-Eisschelf in der westlichen Antarktis bildet eine natürliche Barriere für die Gletscher der Region. Doch es zerfällt und Risse deuten weitere Eisabbrüche an.

Noch blockiert das Pine-Island-Schelfeis den dahinter liegenden Pine-Island-Gletscher: eine der größten Eiszungen der Westantarktis. Doch das Schelfeis schrumpft, und der Gletscher nimmt Fahrt auf, was keine guten Aussichten für die globalen Meeresspiegel sind. Wie schnell sich Risse in den dicken Eispaketen öffnen können, die auf dem Wasser schwimmen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2012: Damals brach das Eis in einer rekordartigen Geschwindigkeit, wie sie bislang nicht gemessen wurde, berichten Stephanie Olinger von der Stanford University und ihr Team in »AGU Advances«.

Am 12. Mai 2012 riss das Schelfeis innerhalb von fünfeinhalb Minuten auf einer Länge von 10,5 Kilometern, wie Radardaten zeigten: in einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 35,1 Meter pro Sekunde oder umgerechnet knapp 130 Kilometer pro Stunde – ein Wert, der so bislang noch nicht bei einem Schelfeis gemessen wurde. Normalerweise brechen diese bis zu 300 Meter dicken Eispakete deutlich langsamer. Auftretende Risse kündigen das Abbrechen großer Eisberge an, was ebenfalls zum natürlichen Zyklus von Eisschelfen gehört, durch den Klimawandel jedoch häufiger auftritt und bis zum Zerfall kompletter Eispakete gehen kann, wie es entlang der Antarktischen Halbinsel passiert ist. Der R2012 getaufte Riss führte ebenfalls zu einem Eisberg, der seit 2012 hinaus in den Ozean gedriftet und zerfallen ist.

Der mit Radardaten sowie auf dem Eis platzierten Seismometern vermessene Riss wurde durch eine Kaverne unter der Eisoberfläche begünstigt: Wärmeres Meerwasser hatte das Eis dort ausgedünnt, was den Bruch schließlich begünstigte. Das Wasser spielt bei derartigen Ereignissen allerdings eine Doppelrolle. Hier hat es zwar die Geschwindigkeit des Zerfalls durch die Aushöhlung erhöht, doch prinzipiell scheint es Risse sogar eher zu bremsen. Denn unter geeigneten Bedingungen kann das Schelfeis wie sprödes Glas brechen, was in Modellierungen ohne Wasser für Geschwindigkeiten bis zu 2000 Meter pro Sekunde sorgte.

In der Realität dringt jedoch Wasser mit leichter Verzögerung in den frei werdenden Raum zwischen den Eiskanten ein, was den Druck auf das Eis und damit die Spannung darin vorübergehend reduziert. Es wirkt den Kräften im Eis selbst entgegen. Diese Spannung treibt dagegen das Aufreißen an, das Wasser limitiert jedoch die Rate der Rissausbreitung.

Rund 180 Billionen Tonnen Eis sind im Pine-Island-Gletscher hinter dem Schelfeis gebunden. Würde er komplett schmelzen, stiege der Meeresspiegel allein dadurch um einen halben Meter. Zusammen mit dem benachbarten Thwaites-Gletscher – auch bekannt als gefährlichster Gletscher der Welt – liefert er einen großen Teil der antarktischen Wasserzufuhr in die Weltmeere, welcher bereits heute die Pegel durchschnittlich erhöht. Noch verhindert das Pine-Island-Schelfeis, dass diese Menge zunimmt. Doch seine Bremswirkung schwindet: Von 1990 bis 2009 beschleunigte der Gletscher von 2,5 Kilometer pro Jahr auf 4 Kilometer pro Jahr, bevor er sich auf dem erhöhten Tempo wieder ein Jahrzehnt stabilisierte.

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