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Nasenspray: Die Nase voll?

Fünf Fakten über abschwellende Nasentropfen und Sprays. Wann sie Sinn machen, wann man abhängig ist, und was das alles mit der gefürchteten Stinknase zu tun hat.
Mann sprüht sich Nasenspray in die Nase
Wer Nasenspray routinemäßig vor dem Einschlafen nimmt, gewöhnt seine Schleimhaut an das Medikament; die Nase schwillt dann immer wieder zu. Aber es gibt Wege aus dem Teufelskreis. (Symbolbild)

Nasensprays sind verpönt. Obwohl mehr als 15 Millionen Erwachsene in Deutschland sie bei Erkältungen oder Schnupfen täglich nutzen. Hunderttausende Nasenspray-Junkies riskierten ihre Gesundheit, der regelmäßige Gebrauch sei angeblich so schädlich wie Kokain, ist in den Medien zu lesen. Wer sich ständig etwas in die Nase sprühe, riskiere eine übel riechende »Stinknase«, so die Sorge.

Dabei ist der Gebrauch an sich gar nicht verkehrt. »Selbstverständlich darf man bei einer Erkältung Nasenspray benutzen«, sagt Marie-Luise Polk von der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Dresden. Wenn die Nase verstopft sei und die Belüftung der Nasennebenhöhlen schlecht, nehme das Krankheitsgefühl zu. »Abschwellende Nasentropfen machen dann Sinn: Das Sekret kann besser abfließen. Auch wir in der Klinik nutzen bei schweren Entzündungen der Nasennebenhöhlen regelmäßig lokal abschwellende Medikamente«, sagt Polk.

Allerdings – und jetzt kommt die entscheidende Einschränkung – sollte man die Präparate nicht länger als sieben Tage am Stück nehmen. Dann sollte Schluss damit sein: »Wer die Tropfen oder das Spray routinemäßig vor dem Einschlafen nimmt, weil die Nase zugeht, gewöhnt seine Schleimhaut an das Medikament und die Nase schwillt immer wieder zu.« Dann drohe ein medikamentöser Schnupfen, den Fachleute auch Privinismus nennen – benannt nach dem Handelsnamen des schleimhautabschwellenden Wirkstoffs Naphazolin.

»Selbstverständlich darf man bei einer Erkältung Nasenspray benutzen«Marie-Luise Polk, HNO-Ärztin

Aber wie genau wirken Nasentropfen? Wie kommt es zur Abhängigkeit? Was kann man dagegen tun, welche Alternativen gibt es, und wie hoch ist die Gefahr, durch jahrelange Abhängigkeit an einer Stinknase (Ozäna) zu erkranken? Fünf Fakten über Nasensprays.

1. Wie Nasentropfen wirken

Ob klein, groß, breit oder schmal: Unsere Nase reinigt die Atemluft, befeuchtet und wärmt sie auf. Wichtig für all diese Funktionen sind die Nasenmuscheln, auch Nasenschwellkörper genannt. Das sind mit Schleimhaut überzogene Knochenlamellen, die regulieren, wie viel Luft ein- und ausströmen kann. Bei normaler Atmung sind die Nasenmuscheln stärker durchblutet und dehnen sich aus. Bei körperlicher Anstrengung ziehen sie sich zusammen – so kann schneller und mehr Luft durch die Nase strömen.

»Nasentropfen imitieren einen natürlichen Nervenstimulus«, erklärt Martin Wagenmann, leitender Oberarzt an der Klinik für Rhinologie, Allergologie und endoskopische Schädelbasischirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Sie wirken als so genannte Sympathomimetika auf die glatten Muskelzellen am Ende spezialisierter Venen in der Nasenschleimhaut. »Die Gefäße ziehen sich zusammen, die Schleimhaut schwillt ab, der Patient oder die Patientin bekommt wieder mehr Luft«, sagt Wagenmann.

Chemisch gesehen gibt es verschiedene Typen von Nasentropfen: die Beta-Phenylethylamin-Derivate und die Imidazolin-Derivate wie Xylometazolin und Oxymetazolin. Sie alle stimulieren lokal die Adrenozeptoren des sympathischen Nervensystems und gelangen nur in vernachlässigbar kleinen Mengen ins Blut.

2. Wodurch eine Abhängigkeit entsteht

»Bei regelmäßigem Gebrauch von Nasenspray oder Tropfen gewöhnen sich die Rezeptoren auf den Nervenzellen in der Nase an den Stimulus«, sagt Martin Wagenmann. Nach welcher Dauer die Gewöhnung eintritt, ist individuell unterschiedlich: Bei manchen dauert es nur drei Tage, bei anderen mehrere Wochen. »Wenn dann die Nasentropfen weggelassen werden, schwillt die Nase umso stärker zu«, erklärt der HNO-Arzt – ein Teufelskreis, der eine immer höhere Dosierung erfordere. »Es entsteht ein medikamentenbedingter Schnupfen.« Um ungehindert durch die Nase atmen zu können, müsse dann immer wieder gesprüht werden.

»Ich würde nicht von einer Sucht sprechen, weil die Vorgänge überhaupt nicht zu vergleichen sind mit einer Alkohol- oder Drogensucht«, sagt Wagenmann. Das Wort »Abhängigkeit« treffe den Zustand weit besser. Wie auch immer man es nennt: Der Dauergebrauch schadet der Schleimhaut. Das Gewebe verändert sich, die feinen Reinigungshärchen, die Zilien, schlagen nicht mehr so tatkräftig, um Schmutz aus der Nase hinauszubefördern. Bei einer Nasentropfen-Nase bleiben die Blutgefäße in der Schleimhaut dauerhaft eng gestellt, die Nase ist nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt. »Die Schleimhaut beginnt zu schrumpfen und sondert kaum noch Sekret ab, sie trocknet aus«, schreibt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen.

Laut Schätzungen des mittlerweile verstorbenen Bremer Gesundheitsökonomen und Apothekers Gerd Glaeske gibt es in Deutschland mindestens 100 000 Nasenspray-Abhängige. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zufolge könnte die Zahl der Betroffenen sogar bei rund einer Million liegen. Studien, die die tatsächliche Häufigkeit ermittelt haben, gibt es nicht. Hinweise für eine rege Nutzung der Nasensprays und Tropfen liefern die Verkaufszahlen: Unter den 20 meistverkauften und rezeptfreien Mitteln in Apotheken seien vier abschwellende Nasensprays, schreibt das RND.

3. Wie kommt man los vom Nasenspray?

Bei einer Abhängigkeit führt kein Weg daran vorbei: Die Nasentropfen müssen abgesetzt werden. »Die medikamentenbedingten Veränderungen in den Nasenmuscheln sind gut zu behandeln, aber die Betroffenen müssen Geduld mitbringen«, sagt Martin Wagenmann. Grundlegend sei, den Patientinnen und Patienten zu erklären, was genau passiert, und gemeinsam ein Behandlungskonzept zu überlegen. Die wichtigste Botschaft dabei: »Es kann Wochen bis Monate dauern, bis sich die Nase wieder umgewöhnt hat.«

Am Universitätsklinikum Dresden favorisieren die Ärzte und Ärztinnen ein langsames Ausschleichen der Therapie: »Wir empfehlen, zuerst Kindernasenspray zu nutzen, dann Spray für Babys und schließlich ganz damit aufzuhören«, sagt HNO-Ärztin Marie-Luise Polk. Unter Umständen könne zusätzlich ein kortisonhaltiges Nasenspray zum Einsatz kommen.

»Es kann Wochen bis Monate dauern, bis sich die Nase wieder umgewöhnt hat«Martin Wagenmann, HNO-Arzt

Das sieht auch Martin Wagenmann so. Am Universitätsklinikum Düsseldorf empfehle man zusätzlich, ein Tagebuch über den Verbrauch der Sprays zu führen und die Nase mit Salben und Nasendusche zu pflegen. Grundsätzlich müsse man aber als Allererstes abklären, woher der chronische Schnupfen eigentlich kommt: Sind die Nasentropfen schuld oder reagiert der Patient oder die Patientin vielleicht allergisch auf ein harmloses Umweltallergen, auf Hausstaubmilben, Katzenhaar oder Birkenpollen? Falls ja, muss die Allergie gezielt behandelt werden. Auch eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen oder anatomische Besonderheiten wie weiche Nasenflügel oder eine schiefe Nasenscheidewand können die Nasenatmung erschweren.

4. Welche Alternativen gibt es?

Marie-Luise Polk empfiehlt bei verschnupfter Nase den Gebrauch von hypertonen Solelösungen in Form von Nasensprays (Meersalznasenspray) oder Nasenduschen mit Nasenspülsalz, die die Nase ebenso gut säubern.

»Fast bei jeder Sorte von chronischem Schnupfen hilft ein lokal wirkendes, kortisonhaltiges Nasenspray viel besser als klassische Nasentropfen«, sagt Martin Wagenmann. Wichtig sei dabei jedoch zu wissen, dass sich die Wirkung der Medikamente deutlich unterscheide: »Von den Nasentropfen her ist man es gewohnt, dass die Wirkung sofort eintritt, das ist aber beim Kortison nicht der Fall. Bis man den abschwellenden Effekt merkt, kann es mehrere Tage dauern«, sagt Wagenmann.

5. Steigt durch den Gebrauch von Nasensprays das Risiko für eine Stinknase?

Die Ozäna oder »Stinknase« ist eine sehr seltene Erkrankung der Nasenschleimhaut. Wenn das Gewebe der Schleimhaut schwindet und sich borkige Verkrustungen in der Nase bilden, können sich darunter übel riechende Bakterien wie etwa Klebsiella pneumoniae ozaenae ansiedeln. Die Folge: Aus der Nase steigt ein höchst unangenehmer Geruch.

Ozäna muss noch vor 120 Jahren recht häufig aufgetreten sein, sagt Wolf Lübbers, HNO-Arzt aus Hannover und Verfasser von medizinhistorischen Fachartikeln. Die Ozäna habe zum einen wohl eine genetische Komponente, die man aber noch nicht sicher kenne. Zum anderen kann sie als Folge von Erkrankungen wie zum Beispiel Lepra oder Syphilis, bei exzessivem Kokainkonsum über die Nase oder auch nach Operationen auftreten. »Ich stamme noch aus einer Zeit, in der man bei Operationen sehr rigoros mit der Nasenschleimhaut umging«, sagt Lübbers. Die Schleimhäute wurden teilweise fast komplett entfernt, inklusive der Nasenmuscheln. Als Folge dieses »Empty Nose Syndrome« klagten die Patientinnen und Patienten häufig über ozänaähnliche Folgeerscheinungen wie Borkenbildung und ein Gefühl von Verstopftheit.

»Es entsteht eine trockene Nase. Aber eine trockene Nase ist noch lange keine Stinknase«Wolf Lübbers, HNO-Arzt

Rein theoretisch könne auch der übermäßige Gebrauch von Nasentropfen eine Stinknase verursachen. »Die Nasentropfen bewirken, dass sich die Gefäße in der Schleimhaut zusammenziehen. Diese wird dann nicht mehr ausreichend ernährt und sie trocknet aus.« Durch das ewige On und Off der Nasentropfen könne es zu einer Durchblutungsstörung der Nasenschleimhaut kommen. »Es entsteht eine trockene Nase. Aber eine trockene Nase ist noch lange keine Stinknase«, sagt Lübbers. Um eine Ozäna zu verursachen, müssten die Nasentropfen schon in rauen Mengen in die Nase geschüttet werden, meint der HNO-Spezialist. Lübbers habe in seiner 35-jährigen Praxistätigkeit wenn überhaupt nur zwei leichte Ozäna-Fälle gesehen.

Eine vollständige Heilung der Stinknase ist schwierig. Wenn früher Spülungen, Salbeneinlagen und Pudereinblasungen nicht mehr halfen, versuchten es die Mediziner mit verflüssigtem Hartparaffin, das sie unter die Nasenschleimhaut spritzten. Von solchen Methoden, die den Schaden eher noch vergrößerten, ist man heute weit entfernt. Der Arzt oder die Ärztin entfernt gegebenenfalls Borken und Krusten und kann die vergrößerte Nasenhöhle unter Umständen durch eine operative Einlage von Knorpelstückchen verkleinern. Die Betroffenen sollten Nase und Schleimhäute mit physiologischer Kochsalzlösung oder mit speziellen Nasensalben gut pflegen sowie mit feuchter Raumluft die Schleimhäute feucht halten. Unterstützend wirkt auch reichhaltige Flüssigkeitszufuhr.

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