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Nutztierhaltung: Globaler Antibiotikaeinsatz steigt noch weiter

Antibiotika in der Tierhaltung fördern Resistenzen und schaden dadurch dem Menschen. Doch allen Eindämmungsversuchen zum Trotz wird ihr Einsatz weiter steigen, zeigt eine Studie.
Hühner sitzt dicht gedrängt in einem Stall auf einem Hühnerhof
Antibiotika lassen Nutztiere schneller wachsen. Sie werden mitunter aber auch prophylaktisch eingesetzt, um Krankheiten zu unterdrücken, die durch die Haltung entstehen.

Künftig werden in der Tierhaltung wohl noch mehr Antibiotika eingesetzt werden als heute. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse zum Gebrauch der Wirkstoffe in landschaftlichen Betrieben weltweit. Demnach dürften im Jahr 2030 rund acht Prozent mehr verabreicht werden als noch 2020. Und das, obwohl global Anstrengungen unternommen werden, den Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft herunterzufahren.

Wenn Nutztierhalter große Mengen Antibiotika einsetzen, dann in der Regel nicht, um Infektionen einzelner Tiere zu behandeln, sondern weil die Medikamente das Wachstum der Tiere beschleunigen. Mit großzügiger Antibiotikagabe können sie außerdem Krankheiten vorbeugen, die durch die Haltung der Tiere in überfüllten, unhygienischen Ställen entstehen.

Das Problem: Übermäßiger Antibiotikaeinsatz treibt ganz wesentlich die Resistenzbildung voran und ist damit unmittelbar für die Zunahme von Infektionen mit resistenten Keimen bei Menschen verantwortlich. Solche Infektionen lassen sich mit den vorhandenen Antibiotika oft nur noch schlecht oder gar nicht behandeln.

Viele Regierungen tun sich allerdings schwer damit, wirksame Vorschriften zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes zu erlassen oder durchzusetzen. Zum Beispiel haben die Vereinigten Staaten und ein Großteil der europäischen Länder zwar verboten, dass Antibiotika zur Wachstumsförderung eingesetzt werden. Hersteller, die das Verbot unterlaufen wollen, müssen allerdings nur behaupten, dass ihre Mittel zur Krankheitsvorsorge dienen.

Viele Antibiotika, aber keine Daten

Große Schwierigkeiten bereitet es den Fachleuten, auch zu bestimmen, welche Antibiotikamengen überhaupt in den einzelnen Ländern eingesetzt werden. Die meisten Nationen würden entsprechende Daten nicht veröffentlichen, sagt Thomas Van Boeckel, Mitautor der aktuellen Studie im Magazin »PLOS Global Public Health«. Der Forscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich ist Experte für die räumliche Ausbreitung von Krankheitserregern.

Stattdessen würden die Länder die Daten direkt an die Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) weiterleiten. Die jedoch fasse ihre Datensätze nach Kontinent zusammen, danach sind die Mengenangaben nicht mehr ländergenau aufschlüsselbar. Hinzu kommt, dass rund 40 Prozent der Länder ihren Antibiotikaeinsatz nicht einmal an die WOAH melden. »Die meisten Daten über den Antibiotikaeinsatz in der Welt sind unbrauchbar«, fasst van Boeckel zusammen.

Für seine aktuelle Studie hat Van Boeckel mit Ranya Mulchandani, einer Epidemiologin an der ETH Zürich, und anderen Kollegen zusammengearbeitet. Gemeinsam unternahmen sie den Versuch einer Schätzung. Ihr Ziel war es, den Antibiotikaverbrauch in 229 Ländern zu ermitteln, indem sie auf Daten einzelner Regierungen sowie auf Erhebungen in landwirtschaftlichen Betrieben und auf wissenschaftliche Artikel zurückgriffen. Die so gewonnenen Werte glichen sie anschließend mit allgemein zugänglichen Daten zum Nutztierbestand in den jeweiligen Ländern ab. 42 Staaten hatten überdies publik gemacht, wie viele Antibiotika im Inland verkauft wurden. Diese Daten nutzte das Team, um die Trends für die verbliebenen 187 Länder zu extrapolieren.

Zuwachs um acht Prozent

Das Team berechnete, dass der Antibiotikaverbrauch in Afrika wahrscheinlich doppelt so hoch ist wie von der WOAH gemeldet und dass der Verbrauch in Asien 50 Prozent höher liegt, als es die offiziellen Zahlen vermuten lassen. Das Autorenteam führt dies auf die Tatsache zurück, dass viele Länder in diesen Regionen nicht auf die WOAH-Erhebungen antworten. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren schätzen die Fachleute in ihrer Studie, dass bis zum Jahr 2030 weltweit etwa 107 500 Tonnen Antibiotika pro Jahr in der Viehzucht eingesetzt werden, verglichen mit knapp 100 000 Tonnen im Jahr 2020.

Der Antibiotikaverbrauch ist in Asien und insbesondere in China am höchsten – ein Trend, der sich bis 2030 fortsetzen dürfte. In Afrika wird er demnach am schnellsten zunehmen, und zwar um 25 Prozent zwischen 2020 und 2030, was auf die gestiegene Nachfrage nach Fleischprodukten zurückzuführen ist. In absoluten Zahlen betrachtet wird Afrika dann allerdings immer noch der Kontinent mit dem geringsten Antibiotikaeinsatz sein.

Mulchandani gibt jedoch zu bedenken, dass es sich bei den meisten der 42 Länder, die die Daten weitergegeben haben, um Länder mit hohem Einkommen handelt, was bedeutet, dass die Art ihres Antibiotikaeinsatzes und der Verwendungszweck möglicherweise nicht für alle Länder repräsentativ sind.

Politisch ist der Rückgang beschlossene Sache

Auf einer Ministerkonferenz zum Thema Antibiotikaresistenzen, die im November 2020 in Muskat im Oman stattfand, verpflichteten sich 39 Länder – darunter die großen Agrarproduzenten Russland und Indien –, den Einsatz antimikrobieller Mittel in der Landwirtschaft bis 2030 um 30 bis 50 Prozent zu reduzieren. Selbst wenn dieses Ziel nicht erreicht werde, sagt Steven Roach, Programmdirektor der gemeinnützigen Organisation Keep Antibiotics Working mit Sitz in Iowa City, könnte die Vereinbarung wenigstens eine Verbesserung der Datenlage herbeiführen: Die Teilnehmerländer werden vermutlich anfangen, grundlegende Daten über ihren Antibiotikaeinsatz öffentlich zu machen. »Es zeigt auch, dass eine echte Reduzierung wahrscheinlich möglich ist, sofern der globale Wille dazu da ist«, sagt er. Bis dahin seien indirekte Methoden, wie sie in der jüngsten Studie zum Einsatz kamen, die einzige Möglichkeit, sich ein Bild vom globalen Antibiotikaeinsatz zu machen.

In Zukunft will Van Boeckel mit seinem Team Szenarien entwickeln, etwa zur Frage, was passieren würde, wenn mehr Länder eine strengere Verteilung von Antibiotika einführen würden. Schweden beispielsweise ist hier Vorreiter. Dort ist der Einsatz der Medikamente bei Tieren nur dann erlaubt, wenn sie von einem Tierarzt verschrieben wurden. Eine bessere Datenlage könnte laut dem Forscher auch helfen, jene Länder und ihre landwirtschaftlichen Betriebe, in denen Antibiotika im Übermaß eingesetzt werden, stärker zur Verantwortung zu ziehen.

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