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Ostsee-Konferenz: Zu wenig Fische, zu viele Nährstoffe

Acht Anrainerstaaten beraten heute im litauischen Palanga über den Zustand der Ostsee. Im Fokus der »Our Baltic Conference« stehen Überfischung, Munition am Meeresgrund sowie Schäden durch den fortschreitenden Klimawandel und Überdüngung. Brisant könnte die Diskussion um Fangquoten für 2024 werden.
Fischer in der Ostsee sollen künftig noch weniger Hering fangen dürfen.
Man sieht es der Ostsee nicht an: Doch ihr ökologischer Zustand ist inzwischen sehr schlecht.

Der ökologische Zustand der Ostsee ist schlecht – sogar sehr schlecht. Darüber beraten sich heute Vertreter aus acht EU-Staaten im litauischen Küstenort Palanga.

Das lässt sich zunächst am Bestand der Fische ablesen. »Die Dorsch- und Heringsbestände sowohl der östlichen als auch der westlichen Ostsee befinden sich in einem katastrophalen Zustand«, konstatiert der Meeresbiologie Christian Möllmann, Leiter der Abteilung Marine Ökosystemdynamik und Management am Institut für marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften der Universität Hamburg, gegenüber dem Science Media Center Deutschland (SMC). Beide Fischbestände seien inzwischen »weitestgehend kollabiert«. Die EU-Kommission hat daher die erlaubten Fangquoten für die beiden Fischarten stark begrenzt, den gezielten Fang von Dorsch gar komplett untersagt. Vielen Experten gehen die Verbote aber nicht weit genug, weil die Fische als Beifang noch eingefahren werden dürfen. Damit sich die Bestände erholen, so Möllmann, brauche es andere Maßnahmen – so schlägt er etwa vor, das Fischen mit Grundschleppnetzen zu verbieten und konsequente Schutzzonen einzurichten.

Das sehen nicht alle so. Aus Sicht von Christopher Zimmermann, Leiter des Instituts für Ostseefischerei am Thünen-Institut, ist der Fischfang nicht der entscheidende Faktor. »Die EU-Kommission schlägt für viele Bestände geringere Fangmengen vor, als die Wissenschaft empfohlen hat – aus kaum nachvollziehbaren Gründen«, kritisiert er gegenüber dem SMC. Die Fangquoten für Dorsch und Hering seien in den letzten Jahren um 97 Prozent gesenkt worden, die geringen Beifangmengen, die noch erlaubt seien, würden von den Fischereien sowieso nicht ausgeschöpft. Trotzdem erholten sich die Bestände nicht. Seines Erachtens liegt das Problem woanders.

Nicht nur Überfischung ist ein Problem

»Der wichtigste Stressor für das Ostsee-Ökosystem ist nach Aussage der Helsinki-Kommission die Überdüngung«, sagt Zimmermann. Die internationale Helsinki-Kommission überwacht den Schutz der Ostsee. Vor allem aus der Landwirtschaft gelangt zu viel Stickstoff und Phosphor in die Meere – Nährstoffe, die Algen wachsen lassen. In der Folge verbrauchen die Algen viel Sauerstoff, es entstehen sauerstoffarme Zonen, in denen Fische und andere Meerestiere, die auf das Element angewiesen sind, nicht mehr leben können. »Die Ostsee leidet insbesondere unter dem Mangel an Sauerstoff im Tiefenwasser unterhalb von 80 bis 100 Meter Tiefe«, stellt auch Maren Voß fest, Leiterin der Arbeitsgruppe Mariner Stickstoffkreislauf am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde. Der Sauerstoffmangel ist dabei eine direkte Folge der hohen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft.

Außerdem leidet das gesamte Ökosystem unter der stetigen Erwärmung der Meere. Mit fortschreitendem Klimawandel steigt nicht nur die durchschnittliche Wassertemperatur, auch marine Hitzewellen treten immer häufiger auf, wie Fachleute mittlerweile belegt haben. Nord- und Ostsee sind davon nicht ausgenommen – im Gegenteil. »Die Ostsee erwärmt sich schneller als der Ozean, weil sie in einem fast vollständig abgeschlossenen Becken liegt und sich das Wasservolumen nur sehr langsam erneuert«, erläutert die Meereswissenschaftlerin Maren Voß. Zwischen 1982 und 2006 hat sich die Ostsee um 1,35 Grad erwärmt, hat eine Forschungsgruppe ihres Instituts ermittelt – das ist siebenmal so viel wie der globale Durchschnitt. Sogar wenn das Jahr 2023 hier eine Ausnahme bildete.

»Heute liegen mehrere 10 000 Tonnen mit Senfgas, Clark und Adamsit gefüllte Bomben und Munitionskörper im Bornholmtief in Dänemark und im Gotlandtief in Schweden«Matthias Brenner, Meeresbiologe

Während neue Regeln und Gesetze die Erwärmung der Ostsee nicht direkt stoppen werden, könnten sie doch indirekt dazu beitragen, das Ökosystem zu entlasten. Denn die einzelnen Stressfaktoren wirken zusammen auf die Meeresbewohner ein; eine Entlastung in jedem der Bereiche kann also positiv wirken.

Neu auf der Agenda dürfte in diesem Jahr die Frage sein, wie mit Munitionsresten auf dem Meeresgrund umzugehen ist. Laut Schätzungen deutscher Behörden haben die Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkriegs rund 300 000 Tonnen Munition in der deutschen Ostsee versenkt. Dazu kommen Blindgänger, Minen oder Wracks. Und daneben schlummern nach Erkenntnissen von Forschern noch andere Waffen unter Wasser: »Heute liegen mehrere 10 000 Tonnen mit Senfgas, Clark und Adamsit gefüllte Bomben und Munitionskörper im Bornholmtief in Dänemark und im Gotlandtief in Schweden«, erzählt Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Er ist beteiligt am Forschungsprojekt CONMAR, das sich mit Munition in der Ostsee befasst. Da die Munition langsam korrodiere, so der Experte, gelangten immer mehr Explosivstoffe wie TNT ins Wasser – mit schädlichen Wirkungen auf Meeresorganismen. Er sieht in der Konferenz die Chance, die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auszuweisen – damit die Waffen eines Tages sicher geborgen werden können.

Transparenzhinweis (9. Oktober 2023): In einer früheren Version war das Zitat "Der wichtigste Stressor für das Ostsee-Ökosystem ist nach Aussage der Helsinki-Kommission die Überdüngung" fälschlicherweise Christian Möllmann zugeordnet. Es stammt aber von Christopher Zimmermann. Wir haben den Namen angepasst.

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