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Materialwissenschaft: Ein unerwartetes Muster in Kristallen wirft Rätsel auf

Die Grundbausteine der meisten anorganischen Verbindungen scheinen aus Vielfachen von vier Atomen zu bestehen. Warum Materialien dieser bizarren »Viererregel« gehorchen, ist bislang unklar.
Künstlerische Darstellung einer Kugelwolke
Anorganische Verbindungen können viele verschiedene Formen annehmen. Doch nun haben Forschende ein Muster gefunden, das sie sich nicht erklären können.

Als ein Team um Nicola Marzari verschiedene Materialdatenbanken untersuchte, staunte es nicht schlecht. Die Forschenden von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne fanden ein Muster vor, das sie sich nicht erklären konnten. Ungefähr 60 Prozent von etwa 80 000 elektronischen Strukturen anorganischer Verbindungen folgen offenbar einer »Viererregel«: Die Grundbausteine ihrer Kristallstruktur bestehen aus einem Vielfachen von vier Atomen, berichten die Fachleute im April 2024 in der Fachzeitschrift »npj Computational Materials«.

Die Atome in Festkörpern und in vielen anorganischen Verbindungen sind in einem regelmäßigen Kristallgitter angeordnet. Der kleinste Baustein, durch den man das periodische Gitter erzeugen kann, nennt sich »primitive Elementarzelle«. Theoretisch können diese eine Vielzahl an verschiedenen Atomen enthalten. Um die Struktur von Einheitszellen besser zu verstehen, untersuchten die Forschenden um Marzari zwei große Materialdatenbanken: Materials Project database und Materials Cloud 3-dimensional crystal structures source database mit je rund 80 000 Einträgen existierender und vorhergesagter Stoffe. Dabei erkannte das Team, dass die meisten primitiven Elementarzellen aus Vielfachen von vier Atomen bestehen.

Da sie sich diese Viererregel nicht direkt erklären konnten, befürchteten die Fachleute, dass die gesammelten Daten Fehler enthielten. Doch den Verdacht konnten sie schnell ausräumen. Anschließend gingen sie einer chemischen Erklärungsmöglichkeit nach: Da Silizium vier Atome an sich binden kann, untersuchten sie, ob die Viererregel-Verbindungen aus Silikaten bestehen, einer sehr häufigen Stoffklasse auf Basis von Silizium. Aber das ist immer nicht der Fall. Die Forschenden fanden ebenso wenig einen Zusammenhang zwischen der Symmetrie oder den Energiezuständen der Kristallstrukturen, die der rätselhaften Viererregel gehorchen.

Dennoch scheint es einen nachvollziehbaren Grund für das unerwartete Muster zu geben. Denn als die Fachleute einen KI-Algorithmus mit den Daten trainierten, war dieser in der Lage, in 87 Prozent der Fälle korrekt vorherzusagen, ob eine Verbindung die Viererregel erfüllen wird oder nicht. Nun hofft das Team um Marzari, dass weitere Forschung das verborgene Muster enthüllen wird, das die künstliche Intelligenz offenbar entdeckt hat.

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