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Biomimetik: Stachelhäuter-Fossil als Roboter wieder zum Leben erweckt

Fachleute aus Paläontologie und Robotik haben zusammen einen ausgestorbenen Vorfahren des Seesterns nachgebaut. Sie wollten herausfinden, wie er sich einst bewegte.
Ein Roboter, der einem ausgestorbenen Vertreter der Gattung Pleurocystites nachempfunden ist
Bei dem nachgebauten Tier handelt es sich um einen Vertreter der Gattung Pleurocystites. Die wirbellosen Meerestiere lebten vor etwa 450 Millionen Jahren im Paläozoikum.

Trotz unglaublicher Fortschritte in der modernen Genomforschung ist die Wissenschaft noch nicht in der Lage, ausgestorbene Tiere zu klonen – egal ob sie diesen Planeten vor Jahrmillionen oder erst vor Kurzem verlassen haben. Tun sich jedoch Fachleute aus Robotik und Paläontologie zusammen, wird es plötzlich möglich, ausgestorbene Kreaturen auf eine andere Art und Weise zurückzubringen: nicht mit Zellen und DNA, sondern mit technischem Geschick und Batterien.

Ein solches interdisziplinäres Team hat jetzt einen bizarren, ausgestorbenen Vorfahren der modernen Seesterne als Roboter nachgebaut. Mit ihrer Arbeit, die im Fachmagazin »PNAS« veröffentlicht wurde, verschafften die Forscher sich Einblicke in die evolutionäre Entwicklung der Stachelhäuter (Echinodermata), zu denen auch Seesterne, Seeigel und Seegurken gehören, sowie in deren Fortbewegung auf dem Meeresgrund. Die robotische Wiederbelebung könnte künftige Innovationen in Technik und Design inspirieren.

»Aus vielen Gründen wäre es unmöglich, die Dinosaurier aus ›Jurassic Park‹ zum Leben zu erwecken«, sagt Imran Rahman, ein Paläontologe, der am Natural History Museum in London die evolutionären Ursprünge der Stachelhäuter erforscht und nicht an der Studie beteiligt war. Stattdessen sei dieser Roboter »das, was dem Versuch, solche Kreaturen wieder zurückzuholen, am nächsten kommt«.

»Seit vielen Jahren versuche ich herauszufinden, wie diese ausgestorbenen Sonderlinge gelebt haben. Wie haben sie sich fortbewegt oder ernährt?«Imran Rahman, Paläontologe

Bei dem nachgebauten Tier handelt es sich um einen Vertreter der Gattung Pleurocystites. Die wirbellosen Meerestiere lebten vor etwa 450 Millionen Jahren im Paläozoikum und gelten als die ersten Stachelhäuter, die sich frei bewegen konnten. Die Tiere waren bilateralsymmetrisch, im Gegensatz zu vielen ihrer Verwandten, deren Körper radialsymmetrisch aufgebaut ist. Sie hatten einen harten, verkalkten Zentralkörper, Theca genannt, mit drei Fortsätzen: zwei kurze und gebogene Ernährungsorgane (Brachiolen) an einem Ende und ein längeres, muskulöses Anhängsel (eine Art Schwanz) am anderen.

Die nur wenige Zentimeter langen Lebewesen sind häufig als Fossilien zu finden. Dennoch sei fast nichts über ihr Leben oder ihre Fortbewegung bekannt, sagt Samuel Zamora, ein Paläontologe am Spanish Geological Survey und einer der Autoren der Studie. Imran Rahman stimmt dem zu: »Seit vielen Jahren versuche ich herauszufinden, wie diese ausgestorbenen Sonderlinge gelebt haben. Wie haben sie sich fortbewegt oder ernährt?« Die neue Arbeit, so fügt er hinzu, »ist ein wirklich aufregender Weg, eine dieser seit Langem bestehenden Fragen anzugehen«.

»Eine schöne Mischung aus Paläobiologie und bioinspirierter Robotik«

Ingenieure lassen sich oft von der Natur inspirieren. Im Jahr 2017 schufen Forscher ein synthetisches Tarnmaterial, das seine Textur so verändern kann, wie es die Haut von Tintenfischen vermag. Bereits ein Jahrzehnt zuvor wurden von Geckos inspirierte Klebstoffe entwickelt. Und Wissenschaftler haben in der Vergangenheit bereits biomimetische Roboter gebaut, um das Verhalten von Tieren zu untersuchen. Ein frühes Beispiel stammt aus dem Jahr 1995, als Barbara Webb einen Grillenroboter vorstellte, der Erkenntnisse über das Paarungsverhalten der Insekten liefern sollte.

Mit diesem neuen Pleurocystites-Roboter haben Fachleute auch nicht zum ersten Mal Tiere oder Teile von Tieren aus fossilen Aufzeichnungen nachgebildet, um zu erfahren, wie sich die einst lebendigen Kreaturen wohl bewegt haben mögen. Die neue Studie sei jedoch zum einen die erste, die eine Roboterversion eines ausgestorbenen Stachelhäuters erschaffen habe, erklärt Talia Moore, eine Robotikforscherin und Maschinenbauingenieurin an der University of Michigan, und zum anderen auch deshalb einzigartig, weil sie Paläontologen in die Forschung mit einbezogen habe. »Ich finde, es ist eine schöne Mischung aus Paläobiologie und bioinspirierter Robotik«, sagt sie. »Es ist selten, dass diese beiden Bereiche so eng miteinander verwoben werden.«

Die Forscher erstellten ihre Entwürfe für den Roboter auf der Grundlage einer Fossilienzeichnung von Samuel Zamora und einem anderen Paläontologen sowie mit Hilfe von Computermodellen. Sie führten virtuelle Simulationen durch, um verschiedene Bewegungshypothesen zu testen, und konstruierten dann eine maßstabsgetreue Nachbildung eines Exemplars von Pleurocystites. Die weichen Anhängsel vorne bestehen aus Silikon und Gummimaterialien; eine Spirale aus einer Formgedächtnislegierung bildet den muskulösen, schwanzähnlichen Fortsatz des Tiers. Die Wissenschaftler testeten ihre Roboter auf dem Boden eines Aquariums, der einem festen, von einer dünnen Wasserschicht überzogenen Untergrund nachempfunden war.

Viele Versuche führten schließlich zum Ziel

In verschiedenen Versuchen variierten die Ingenieure verschiedene Designelemente – wie etwa die Länge des Schwanzes, seine Steifigkeit und seine Beweglichkeit –, um herauszufinden, welche Art von Bewegung für die Navigation auf dem paläozoischen Meeresboden am vorteilhaftesten gewesen sein könnte. Dabei verschliss das Team eine »deprimierend große Anzahl« von Robotern, sagt Richard Desatnik, Mitautor der Studie und Doktorand im Bereich Maschinenbau an der Carnegie Mellon University. Am Ende fanden die Forscher heraus, dass die Bewegung des Schwanzes von Seite zu Seite Pleurocystites wahrscheinlich in Richtung der Brachiolen vorwärtstrieb. Die Forscher suchten auch nach der idealen Länge des Schwanzes (etwa viermal so lang wie die Theca), der Gangart (weite, schwungvolle Bewegungen) und der Steifigkeit (eher starr als flexibel).

Das resultierende Robotermodell bewegte sich ungefähr so schnell wie erwartet, basierend auf Vergleichen mit ähnlich großen modernen Verwandten. Seine Proportionen stimmten gut mit den Fossilien überein und lieferten eine mögliche Erklärung dafür, warum der Fortsatz von Pleurocystites im Lauf der Zeit immer länger wurde. Die Ergebnisse seien sinnvoll und böten eine wahrscheinliche Antwort auf das Rätsel, wie die Tiere sich fortbewegt haben könnten, sagt Rahman.

Trotz des langsamen und unbeholfen wirkenden Schlängelns des Roboters halte dieser auch potenzielle Lektionen für Ingenieure bereit, sagt Moore. Biologisch inspirierte Roboter zu entwickeln, führe zu vielfältigeren und dynamischeren Formen und »bringt uns wirklich dazu, neue Wege zu beschreiten«. Und Carmel Majidi, Mitautor der Studie und Maschinenbauingenieur an der Carnegie Mellon University, ergänzt, die Nachahmung des ausgestorbenen Stachelhäuters habe zu neuen Ideen für die Kombination von weichen und starren Roboterkomponenten geführt.

Der Roboter ist zwar eine gute Vermutung, die durch eine clevere physikalische Demonstration unterstützt wird – aber kein endgültiger Beweis

Dennoch hat der Pleurocystites-Roboter seine Grenzen. Zum einen sei es unmöglich, »genau zu wissen, wie sich diese ausgestorbenen Tiere bewegt haben«, stellt Moore fest. Der Roboter sei zwar eine gute Vermutung, die durch eine clevere physikalische Demonstration unterstützt wird – aber natürlich kein endgültiger Beweis. Und obwohl der Roboter maßstabsgetreu gebaut wurde, ist er etwa viermal so groß wie die versteinerten Organismen selbst. Majidi sagt, er würde sich gerne einmal an einer kleineren Version versuchen. Außerdem wollen er und seine Kollegen den Roboter auf verschiedenen Substraten testen. Paläontologen gehen davon aus, dass die Tiere auf allen möglichen Arten von Meeresböden gelebt haben – matschig, schlammig, sandig und felsig. Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten können die für die Fortbewegung günstigsten Bedingungen drastisch verändern.

John Long, Biologe, Kognitionswissenschaftler und Mitbegründer des interdisziplinären Robotik-Forschungslabors am Vassar College in New York, weist darauf hin, dass in der Studie nicht untersucht wurde, wie die Länge des Schwanzes, dessen Steifigkeit und die Gangart zusammenwirken – und ebenso wenig, wie sich die Frequenz der Schwanzoszillation auswirkt. »Die Kollegen haben einen Anfang gemacht«, sagt Long. Obwohl es sich »um einen sehr wichtigen ersten Schritt bei der Untersuchung dieser Stachelhäuter-Fossilien handelt«, sei die Studie für sich genommen aber noch keine vollständige Erforschung aller Fähigkeiten von Pleurocystites. Es bleiben also noch viele Fragen offen rund um die lang verschollenen, wirbellosen Stachelhäuter. Aber zumindest können die Fans von »Jurassic Park« sicher sein, dass weder die ausgestorbenen Tiere noch der Roboterklon in der Lage sind, Türen zu öffnen.

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