Direkt zum Inhalt

News: Tränen einer Schildkröte

Das Fossil einer 110 Millionen Jahre alten Schildkröte gibt einen Hinweis, wie und wann diese einst an Land lebende Tiergruppe den Weg zurück ins Meer schaffte: Sie drückte schon damals erfolgreich auf die Tränendrüse.
Ren Hirayama von der Teikyo Heisei University in Japan beschreibt in Nature vom 16. April 1998 das unschätzbare Schildkrötenfossil aus der Unterkreide, das in der brasilianischen Santana-Formation gefunden wurde. Dieses Gebiet ist wegen seiner wunderschönen Fisch- und Pterosaurier-Fossilien auf der ganzen Welt berühmt.

Der Fund läßt die Frühgeschichte der Seeschildkröten klarer erscheinen. Sie beginnt gut 10 Millionen Jahre früher als bislang durch Fossilien belegbar war. Insbesondere liefert die Versteinerung wichtige Hinweise auf das größte Problem, dem sich jedes an Land lebende Wirbeltier gegenübersieht, wenn es auf Dauer in das Meer zurückkehrt: Wie wird man überschüssiges Salz los? Der neue Fund stellt die älteste bekannte Schildkröte dar, die aus salzabsondernden Drüsen um die Augen salzige Tränen vergießen konnte – ein charakteristisches Merkmal von Meeresschildkröten.

Jedes marine Wirbeltier, das von landlebenden Vorfahren abstammt, besitzt Körperflüssigkeiten, die viel weniger salzig sind als Meerwasser. Ein ungeschütztes Tier läuft im Meer Gefahr zu dehydrieren, da das Wasser durch Osmose aus dem Körper gesogen und in die salzigere Lösung des Meeres abgegeben wird. Dieser Verlust kann durch Trinken von Meerwasser ausgeglichen werden. Obwohl dies den Salzgehalt im Körper relativ zum Meer anhebt, gibt es erst dann einen Nettogewinn an Wasser, wenn die Salze in eine Lösung ausgeschieden werden, die zumindest ebenso konzentriert ist wie das Meerwasser. Die Nieren der marinen Reptilien, wie zum Beispiel Schildkröten, vermögen keine so stark konzentrierten Lösungen herzustellen. Daher mußten die Tiere andere Wege finden, das überschüssige Salz auszuscheiden. Ein Leben im Meer ist einfach nicht möglich, bevor ein Tier sein Salzproblem gelöst hat.

Die Santana-Schildkröte ist insofern primitiv, als daß die Knochen in ihren Handgelenken, Knöcheln und Zehen sich nicht zu den starren Paddeln verfestigt haben, wie sie für moderne Meeresschildkröten charakteristisch sind. Mit anderen Worten, ihre Füße haben mehr wie die von Sumpfschildkröten ausgesehen, als solche von richtigen seetüchtigen Schildkröten.

Waren die Flossen auch noch nicht für die Weiten und Tiefen der Meere ausgelegt, so hatten die Santana-Schildkröten ihren Salzhaushalt bereits dem neuen Lebensraum angepaßt. Der fossile Schädel zeigt Hinweise auf große Salzdrüsen am Auge. Auch moderne Meeresschildkröten besitzen Tränendrüsen, die in einigen Fällen größer sind als das Gehirn und so modifiziert wurden, daß sie eine konzentrierte Salzlösung ausscheiden können. In diesem Fall ging die Evolution salzabsondernder Drüsen also der Bildung von starren Paddeln voraus.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.