Direkt zum Inhalt

Überfischung: Raubbau bedroht Haie und Rochen der Tiefsee

Millionen Haie und Rochen werden jedes Jahr getötet; ihr Verlust bedroht ganze Ökosysteme. Und selbst in der Tiefsee sind die Knorpelfische nicht sicher.
Ein gräulich gefärbter Stumpfnasen-Sechskiemerhai mit heller Unterseite durchschwimmt das Blitzlicht einer Kamera in der tiefen Schwärze der Tiefsee. Der braune Meeresboden ist am unteren Bildrand sichtbar.
Die Tiefsee ist die Heimat vieler Hai- und Rochenarten wie dieses Stumpfnasen-Sechskiemerhais. Doch sicher vor Fischfang sind sie auch dort nicht.

Jedes Jahr sterben bis zu 80 Millionen Haie in den Netzen und an den Haken der Fischfangindustrie – mit steigender Tendenz. Oft werden die Tiere einfach nur wegen ihrer Flossen gefangen, diese abgeschnitten und die noch lebenden Fische wieder über Bord geworfen. Eine Studie von Brittany Finucci vom National Institute of Water and Atmospheric Research in Wellington und ihrem Team in »Science« zeigt, dass von diesem Raubbau in großem Stil auch Haie sowie Rochen der Tiefsee betroffen sind. Der weitgehend unregulierte Handel mit Leberöl und Fleisch dieser Fische sorgt dafür, dass jede siebte Tiefseehai- und -rochenart inzwischen vom Aussterben bedroht ist: Allein zwischen 1980 und 2005 habe sich die Anzahl der bedrohten Spezies verdoppelt.

Da sich 2005 der Tiefseefischfang zudem intensiviert hat, hat sich die Situation für die betroffenen Haie und Rochen weiter verschlechtert. Insgesamt haben Finucci und Co die vorhandenen Daten von 521 Arten ausgewertet, deren Lebensmittelpunkt unterhalb von 200 Meter Wassertiefe liegt. Wegen ihrer meist langen Lebensspanne bei gleichzeitig sehr niedriger Geburtenrate sind diese Haie und Rochen von Überfischung stark bedroht. Grönlandhaie beispielsweise können mehrere hundert Jahre leben und werden womöglich erst mit 150 Jahren geschlechtsreif. Anschließend bringen sie wenige Nachkommen auf die Welt; manche Arten erzeugen lediglich bis zu zwölf Junghaie während ihres gesamten Lebens – jeder zusätzliche Verlust durch Fischfang reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Art als Ganzes überlebt.

»Die meisten Tiefseehaie und -rochen können nur sehr geringem Druck durch Fischerei standhalten«, sagt der an der Studie beteiligte Biologe Nicholas Dulvy von der Fraser University in Burnaby. Zahlreiche der vom Fang betroffenen Regionen befinden sich außerhalb nationaler Hoheitsgewässer und unterliegen daher weniger strikten Regularien; häufig verläuft der Fang völlig unkontrolliert, weil es an geeigneten Überwachungsmaßnahmen fehlt. Und während viele Hai- und Rochenarten der offenen See oder küstennaher Riffe und anderer Flachwasserökosysteme zumindest auf dem Papier geschützt werden, gelten bloß für sehr wenige Vertreter der Tiefsee spezielle Managementpläne.

Tote Tiefseehaie

»Die weltweite Ausweitung und Diversifizierung der Nutzung von und des Handels mit Tiefseehaien und -rochen ist ein relativ neues Phänomen«, so Finucci. Diese Arten sind besonders reich an Ölen; zudem ist das Fleisch der Rochen höchst begehrt. Haifischleberöl wiederum ist gefragt für Kosmetika sowie Gesundheitsprodukte einschließlich Impfstoffadjuvanzien, obwohl ihr Nutzen teils völlig ungeklärt oder nicht nachweisbar ist. Da die Tiere in ihrer Leber zahlreiche Schadstoffe wie Schwermetalle anreichern, könnte die Einnahme sogar kontraproduktiv wirken.

Diese gezielte Fischerei ist außerdem eine Boom-and-Bust-Industrie. In kurzer Zeit werden die Bestände völlig ausgebeutet und erholen sich anschließend nicht mehr oder lediglich sehr langsam, während sich das Aussterberisiko über kurze Zeiträume – weniger als 20 Jahre – drastisch erhöht. Finucci und Co drängen daher auf verstärkten Schutz der Tiefsee: Wie ihre Arbeit zeige, böte der Schutz von einem Drittel der Tiefsee rund 80 Prozent der Tiefseehaie zumindest einen teilweisen räumlichen Schutz in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet. Selbst dann würde es Jahrzehnte dauern, bis sich die überfischten Bestände wieder erholt hätten: Eine Schätzung geht davon aus, dass der Tiefseehai Centrophorus uyato über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren nur ein Fünftel seiner früheren Population erreichen würde.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.