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Evolution: Unsichtbar

Wer überall lauernden Räubern entwischen will, muss schnell die Flucht ergreifen, sich selbst verteidigen - oder sich von vorneherein geschickt tarnen. Verblüffend nur, dass viele Insekten ausgerechnet auffallende Farben als Schutzmaßnahme wählen.
Mottenattrappe auf Baumrinde
Um hungrigen Feinden nicht zum Opfer zu fallen, setzt so manches Objekt der Begierde auf eine effektive Tarnung. Für diesen Zweck stehen ihm zwei verschiedene Mechanismen zur Verfügung: Entweder greift das Beutetier zu einer kryptischen Färbung, durch die es optisch mit dem Hintergrund verschmilzt und somit unsichtbar wird. Oder es verziert seine Außenbereiche mit gewagten kontrastierenden Farbtönen, welche die Körperumrisse auflösen. Letzteres galt lange als Erklärung für einige auffällige Farbmuster im Tierreich. Doch direktes Beweismaterial für diese Vermutung blieb bislang äußerst dürftig.

Mithilfe ausgeklügelter Freilandversuche überprüften Innes Cuthill und seine Kollegen von der Universität Bristol, ob jene Strategie wirklich einen Schutz vor Räubern zu verleihen vermag. Zwei Kernvoraussagen galt es in diesem Zusammenhang kritisch zu beäugen. Erstens: Sollten Muster an der Peripherie des Tierkörpers effektiver beim "Versteckspielen" sein als zufällig platzierte entsprechende Flecke? Und zweitens: Lösen kontrastreiche Farben die Umrisse stärker auf als schwach kontrastierende?

Mottenattrappe auf Baumrinde | Mithilfe von farbigen Dreiecken als Mottenattrappen auf Baumrinden untersuchten die Forscher, ob auffällige Farbmuster die Körperumrisse auflösen und das Beutetier somit vor Fressfeinden tarnen. Tatsächlich entdeckten Vögel die künstlichen Ziele seltener, wenn sich die Markierungen in den Außenbezirken des Papierstücks befanden. Stark kontrastierende Farbtöne erhöhten diesen Schutzeffekt noch.
Diesen Fragestellungen gingen die Forscher mit 50 Millimeter breiten und 25 Millimeter hohen wasserdichten Papierdreiecken auf den Grund, die sie als künstliche Ziele an die Baumstämme von Eichen hefteten. Die "Flügel" ihrer Mottenattrappen bedruckten sie mit fünf verschiedenen Mustern: Entweder "überlappten" die schwarzen Markierungen auf dunkelbraunem Untergrund die Kanten, oder sie waren in identischer Ausdehnung nach innen verschoben. Auf weiteren Karten platzierten die Wissenschaftler andere zufällig gewählte Flecken ebenfalls so, dass sie keinen direkten Kontakt zu den Grenzen aufwiesen.

Neben den zweifarbigen Dreiecken setzten sie auch rein braune und schwarze Papierstücke potenziellen Räubern aus. Diese lockten sie mit toten Mehlwurmlarven (Tenebrio molitor) an, die sie als essbaren "Körper" auf allen "Zielscheiben" befestigten. Nach jeweils zwei, vier, sechs und 24 Stunden ermittelten die Forscher dann, wie viele Köder überlebt hatten. Während Vögel den Großteil oder gar den ganzen Mehlwurm vertilgten, saugten Spinnen nur die Flüssigkeiten aus den Larven heraus – und ließen einen hohlen Hautpanzer zurück. Von Schneckenbesuchen zeugte eine verräterische Schleimspur.

Wie von der Theorie vorausgesagt, spürten die Fressfeinde mit dem geringsten Erfolg die Dreiecke mit den Farbmustern an den Kanten auf. Die Papierstücke mit den innen liegenden Flecken stachen den Räubern hingegen häufiger ins Auge, insbesondere jene mit den "verrutschten" Markierungen von den Außenbezirken. Offenbar führte diese Verschiebung zu Mustern mit geraden Linien, welche die Auffälligkeit erhöht haben könnten, spekulieren die Forscher. Zudem neigt diese Anordnung dazu, den Umriss der Zielscheiben zu verstärken und wirkt somit dem Effekt der auflösenden Färbung entgegen. Am schlechtesten schnitten die einfarbigen Dreiecke in den Überlebensexperimenten ab.

Im zweiten Versuch setzten die Wissenschaftler sechs verschiedene Papierstücke ein: Vier zweifarbige – zwei mit starkem und zwei mit schwachen Kontrast zwischen den Farben, wobei sich die Markierungen wiederum an der Peripherie oder im Inneren befanden – sowie zwei einfarbige Dreiecke, bemalt mit der Durchschnittsfarbe des kontrastreicheren oder -ärmeren Kartenpaares. Erneut überprüften die Forscher, welche Ziele am auffälligsten und am unscheinbarsten waren.

Dabei stellten sie fest, dass sich der Schutzeffekt offenbar durch starke Farbgegensätze erhöht. Denn am häufigsten überlebten die Mehlwürmer auf den kontrastreichen Dreiecken mit Flecken an den Kanten.

Tatsächlich kann die auflösende Färbung ein effektives Mittel der Tarnung in der Natur sein, folgern die Wissenschaftler. In welchem Ausmaß diese Muster jedoch einen generellen Vorteil über der einfachen kryptischen Färbung verschaffen, bleibt vorerst rätselhaft.

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