Direkt zum Inhalt

News: Ursachenforschung

Selbst Seuchen können Gutes bewirken. So profitieren heute die Menschen, die gegen eine HIV-Infektion resistent sind, möglicherweise vom Selektionsdruck, den eine mittelalterliche Seuche ausübte – fragt sich nur welche.
HIV
Unaufhaltsam dringt die Armee aus HI-Viren vor. Bis in den letzten Winkel folgt sie dem Blutstrom, stets auf der Suche nach neuen Opfern unter den Immunzellen. Kaum gelangt eine in Reichweite, werden die Waffen in Stellung gebracht: Sofort werden die Enterhaken aus Eiweißen ausgeworfen, passgenau heften sich diese Proteine an bestimmte Oberflächenmoleküle der attackierten T-Helferzellen, und schon dringen die Angreifer in die Zelle ein. Bald wird diese nur noch eine Marionette des Eindringlings sein und bereitwillig neue Viren produzieren.

Das Opfer, die T-Helferzelle, hat kaum eine Chance zur Verteidigung – es sei denn, sie bietet dem Virus keinen Angriffspunkt. Genau das geschieht bei manchen Menschen, die trotz eines hohen Infektionsrisikos nicht mit HI-Viren infiziert sind. Verantwortlich dafür ist der Rezeptor CCR5, ein wichtiges Oberflächenprotein auf den T-Helferzellen, welches das HI-Virus benötigt, um in die Zelle eindringen zu können.

Menschen mit einer Mutation in beiden ihrer zwei für das Protein CCR5 kodierenden Genkopien widerstehen einer HIV-Infektion – durch den genetischen Defekt fehlt ihnen das Protein auf der Oberfläche der T-Helferzellen, und die Viren können ihre Enterhaken nicht daran anbringen. Diese schützende Mutation ist vor allem in Europa weit verbreitet mit Schwerpunkt in Skandinavien und nach Südeuropa hin abnehmend; bei Afrikanern, Ostasiaten und den Ureinwohnern Amerikas fehlt sie ganz. Ist nur eines der beiden Gene für den Rezeptor verändert, verläuft die Infektion zumindest langsamer.

Wie erklärt sich diese Verbreitung des Resistenzgens? Genetische Untersuchungen legen nahe, dass es vor mindestens 700 Jahren entstand und sich weitervererbte, weil es gegenüber einer weit verbreiteten Krankheit einen Vorteil verschaffte. Etwa gleichzeitig mit dem Auftreten der Mutation wütete in Europa die Pest – schützt die genetische Veränderung von CCR5 auch vor dem Schwarzen Tod, so könnte diese Seuche einen positiven Selektionsdruck auf das Resistenzgen ausgeübt haben. Für dessen Verbreitung wird deswegen in einer gängigen Hypothese die Pest verantwortlich gemacht.

Diese Theorie überprüften nun Donald Mosier vom Scippps Research Institute in La Jolla und seine Mitarbeiter am lebenden Objekt. Sie infizierten normale Mäuse und solche, deren T-Helferzellen keinen CCR5 tragen, mit Yersinia pestis, dem Erreger der Pest. Dann beobachteten sie, wie sich das Bakterium im Tier entwickelte und wie gut sich die Mäuse dem Krankheitserreger zur Wehr setzten.

Yersinia pestis zeigte sich vollkommen unbeeindruckt davon, ob das infizierte Tier über die CCR5-Andockstelle verfügte oder nicht: Das Bakterium entwickelte sich in beiden Fällen prächtig. Auch auf den Krankheitsverlauf zeigte der Rezeptor keine Wirkung. Die Überlebensrate der beiden Nagergruppen unterschied sich nicht.

Damit ist klar: Die Mutation im CCR5-Gen verschafft keinen Vorteil gegenüber der Pest; die Krankheit kann damit nicht verantwortlich sein für die Verbreitung der genetischen Veränderung in der europäischen Bevölkerung. Die Beobachtungen der amerikanischen Forscher bestätigen somit frühere Zweifel an dieser Hypothese. Es gibt auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass Yersinia pestis überhaupt CCR5 braucht, um infektiös zu werden.

Doch eine andere, im Mittelalter weit verbreitete Krankheit könnte die Vererbung der schützenden Mutation vorangetrieben haben: die Pocken. Sie wüteten besonders stark in den skandinavischen Ländern, in denen das Resistenzgen am weitesten verbreitet ist, und sie töteten über einen längeren Zeitraum als die Pest – bis hin zum ersten Auftreten von HIV. Der Selektionsvorteil blieb also – anders als bei der Pest – permanent bestehen. Zudem sind die Erreger der Pocken Viren, die möglicherweise ebenfalls CCR5 als Eintrittspforte in die Zellen nutzen. Ob diese alternative Hypothese der praktischen Überprüfung Stand hält, wird sich allerdings erst noch weisen müssen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.