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News: Wenn supercoole Flüssigkeiten die Wände hoch fließen

Das Phänomen der Superfluidität fasziniert seit seiner Entdeckung vor etwa 60 Jahren Experimentalphysiker und Theoretiker und hat seitdem auch schon mehreren Forschern Nobelpreise beschert. Doch bis heute ist die Superfluidität nicht vollständig verstanden. Noch dazu war es bisher nur von zwei Helium-Isotopen bekannt. Jetzt gelang es Göttinger Wissenschaftlern, dieses Merkmal auch in Wasserstoff nachzuweisen.
Der Superfluidität liegt die so genannte Bose-Einstein-Kondensation zugrunde. So bezeichnet man eine Flüssigkeit dann als superfluide, wenn sie an Körpern vorbeifließt, ohne eine Kraft auf diese auszuüben, oder wenn Körper, die sich in der Flüssigkeit bewegen, nicht abgebremst werden. Superfluidität zeigt sich bei extrem tiefen Temperaturen dadurch, dass eine Flüssigkeit die Wände eines Becherglases emporkriecht und ihre Viskosität verliert. Bisher war Superfluidität nur für die beiden Heliumisotope He-3 und He-4 bekannt. Jetzt ist es einer Gruppe von Wissenschaftlern um Jan Peter Toennies am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung in Göttingen gelungen, Superfluidität erstmals auch für Wasserstoff nachzuweisen (Science vom 1. September 2000).

Die Suche nach Superfluidität in anderen Substanzen als Helium ist von besonderem Interesse für ein besseres Verständnis dieses quantenmechanischen Effekts. Die Göttinger Wissenschaftler hatten bereits in ihren früheren Experimenten mit Helium die Rotationsspektren von einzelnen, in Heliumtröpfchen aus 103 bis 104 Atomen eingelagerten Molekülen wie SF6 oder OCS untersucht. Völlig unerwartet fanden die Wissenschaftler scharfe Spektrallinien, sehr ähnlich den Linien, die man für ein freies Molekül beobachtet. Genau wie die Energieniveaus eines Atoms ist auch die Rotationsenergie eines freien Moleküls in ähnlicher Weise gequantelt. Aus der Schärfe der Spektrallinien konnten die Göttinger Forscher schließen, dass die einzelnen Moleküle fast ohne Widerstand rotieren können. Im Anschluss daran gelang es Toennies und Mitarbeitern zu zeigen, dass es sich bei der reibungslosen Rotation der Moleküle um eine neue mikroskopische Manifestation der Superfluidität handelt.

Bei den jüngsten Experimenten wurde diese Methode angewandt, um die Superfluidität eines Clusters aus einigen wenigen, zusätzlich zu den Sondenmolekülen in die superfluiden Heliumtröpfchen eingelagerten para-Wasserstoffmolekülen zu zeigen. Da die Kernspins der beiden Atome in para-Wasserstoffmolekülen einander entgegengerichtet sind, verschwindet der Gesamtkernspin. Deshalb kann auch bei den para-Wasserstoffmolekülen die Bose-Einstein-Kondensation und der Übergang in den superfluiden Zustand auftreten. Frühere Versuche, diesen Zustand nachzuweisen, waren daran gescheitert, dass die para-Wasserstoffproben fest wurden, bevor die für den superfluiden Zustand erforderlichen tiefen Temperaturen erreicht war.

Beim Göttinger Experiment bilden die Wasserstoffmoleküle kleine Cluster um das im Zentrum des Heliumtröpfchens befindliche Sonden-OCS-Molekül. Wegen der geringen Anzahl von nur 15 bis 17 Wasserstoffmolekülen erwartet man ein Absinken des Gefrierpunkts – das Problem des Einfrierens wird dadurch umgangen. Um nun die Superfluidität der kleinen Wasserstoffcluster nachzuweisen, haben die Göttinger Experimentatoren die Rotation der para-Wasserstoffcluster spektroskopisch untersucht. Bereits 1959 hatte der russische Physiker Migdal darauf hingewiesen, dass ein Verschwinden der Rotation der Kerne einen Hinweis auf deren Superfluidität liefert. Tatsächlich konnten die Max-Planck-Wissenschaftler bei ihren Experimenten ein Verschwinden der Rotation der Wasserstoffkerne nachweisen. Der Göttinger Gruppe gelang damit der Nachweis von Superfluidität in einer anderen Flüssigkeit als in Helium.

Man könnte heute der Meinung sein, es gebe in der Festkörper- und Materialforschung keine wirklichen Überraschungen mehr, weil die Wissenschaftler es hier mit bekannten Objekten (Atomen) zu tun haben, die über gutdefinierte und inzwischen gutverstandene Kräfte (die Coulomb-Interaktion zwischen geladenen Teilchen) miteinander wechselwirken. Weit gefehlt. Bereits die Quantenmechanik ist ein seltsames Gebiet, doch die Quantenmechanik größerer Ansammlungen von Atomen und Molekülen kann noch viel merkwürdiger sein. Heute weiß man, dass beim Zusammenkommen vieler Atome zu einem Material ganz neue Phänomene auftauchen. Selbst wenn wir also die Eigenschaften einzelner Atome gut verstehen und sogar berechnen können, so überraschen uns regelmäßig Materialien, die sich aus einer großen Anzahl von Atomen zusammensetzen, mit völlig unerwarteten Eigenschaften. Lebende Materie und das Leben selbst sind vielleicht die spektakulärsten Beispiele solcher "emergenter Phänomene": So viel wir auch lernen über die individuellen Atome, Leben kann man auf dieser Grundlage nicht verstehen.

Zu den "emergenten Phänomenen", die immer wieder von sich reden machen, gehört neben Supraleitfähigkeit, Bose-Einstein-Kondensation, Quantenmagnetismus und Quanten-Hall-Effekt auch die Superfluidität. Sie wurde unter extrem tiefen Temperaturen bei den Helium-Isotopen He-3 und He-4 entdeckt. Helium kommt als zwei stabile Isotope vor, wobei in der Natur 99 Prozent des Heliums aus He-4 besteht, während He-3 äußerst selten ist. Flüssiges Helium ist schon seit einiger Zeit bekannt. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es dem niederländischen Physiker Heike Kamerlingh-Onnes, Helium zu verflüssigen. Für die Entdeckung der Supraleitung erhielt er 1913 den Nobelpreis für Physik.

Es dauerte noch mehrere Jahrzehnte, bis Ende der dreißiger Jahre der russische Physiker Pyotr Leontevitch Kapitsa ein neues Phänomen beim Abkühlen von Helium unter seinen Siedepunkt von 4,2 Kelvin (-269 Grad Celsius) entdeckte und dafür 1978 den Nobelpreis für Physik erhielt. Kapitsa fand bei 2,17 Kelvin, dass Helium-4 kondensierte und Eigenschaften zeigte wie keine andere bekannte Flüssigkeit. Bei 2,17 Kelvin und kälter wurde Helium-4 superfluide, es konnte ohne Reibung fließen.

1962 erhielt der russische Physiker Lev Davidovic Landau den Physik-Nobelpreis für die theoretische Erklärung flüssigen und superflüssigen Heliums. Der experimentelle Nachweis, dass auch Helium-3 superfluide werden kann, gelang erst bei wesentlich tieferen Temperaturen als für Helium-4. Die drei US-amerikanischen Wissenschaftler David M. Lee, Douglas D. Osheroff und Robert C. Richardson entdeckten die Superfluidität von Helium-3 bei 0,002 K und erhielten dafür 1996 den Nobelpreis für Physik.

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