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News: Wenn's denn sein muss

Nachwuchs von mehreren Männern zu haben, kann Vorteile unterschiedlichster Art bieten, so eine gängige Ansicht. Bei Schildkröten trifft das offensichtlich nicht zu - hier scheinen intime Begegnungen mit wechselnden Partnern eher zum notwendigen Übel zu gehören.
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Ein liebeshungriges Suppenschildkrötenmännchen macht vor nichts halt: Ein Suppenschildkrötenweibchen ähnlich geformter Stein ist vor seinen Besteigungsversuchen genauso wenig sicher wie ein Konkurrent, der gerade im Wege steht. Die aggressive Partnersuche stößt beim anderen Geschlecht allerdings auf wenig Gegenliebe, denn so manche Schildkrötendame wehrt sich mit Bissen heftig gegen das Begattetwerden oder strandet freiwillig, um dem aufdringlichen Bewerber zu entgehen. Auch rotten sich ganze Gruppen von Weibchen zusammen, um sich besser gegen die sie ständig belagernde Schar der Schuppen-Machos zur Wehr setzen zu können.

Und dabei genießt der bunte Partnerwechsel durchaus keinen schlechten Ruf: Größere genetische Vielfalt beim Nachwuchs oder die Möglichkeit, für die Mutter in spe die geeignetsten Papa-Spermien auszuwählen, sind nur zwei der befürwortenden Argumente. Nicht vergessen darf man allerdings, dass Paarungsorgien auch so manchen Nachteil bergen: Vom Zeit- und Energieaufwand einmal abgesehen, sind einige Liebesspiele wenig gesundheitsfördernd bis lebensbedrohlich. Es gilt also wie überall, Schaden und Nutzen abzuwägen.

Im Falle der Schildkröten haben das Patricia Lee und Graeme Hays übernommen. Die beiden Wissenschaftler von der Universität von Wales in Swansea machten sich auf zur Suppenschildkröten-Kinderstube auf der Insel Asuncion, entnahmen den Eier vergrabenden Weibchen Gewebe- und Blutproben und verfolgten die Lebensgeschichte von insgesamt 715 geschlüpften Jungen aus 18 Nestern an verschiedenen Stränden. Die Zahl der Eier pro Gelege lag bei 42 bis 170, und von einem Nest abgesehen hatten alle zwei bis fünf Väter, von denen einer jeweils entweder fast alle oder etwa die Hälfte der Nachkommen gezeugt hatte. Ein bunter Mischmasch also aus Sprösslingen streng monogamer Kurzzeitbeziehungen – sofern sich bei Schildkröten davon sprechen lässt – und wilder Orgien.

Für den Fortpflanzungserfolg aber spielt all das überhaupt keine Rolle, stellten die Forscher fest. Keiner der üblichen Parameter – von Nestgröße über Zahl der befruchteten Eier bis hin zur letztlichen Zahl der geschlüpften und überlebenden Jungtiere – zeigte auch nur irgendeinen Zusammenhang mit den Vaterschaftsverhältnissen. Das Überleben und die Lebensspanne der Mütter konnten Lee und Hays nicht überprüfen, vielleicht verbergen sich hier noch Vorteile, erklären die beiden. Um die Aussicht aber gleich wieder einzuschränken: Angesichts des Aufwandes für die Weibchen, die aufdringlichen Annäherungsversuche potenzieller Paarungspartner abzuwehren, die mit Verletzungen oder gar dem Tod der Tiere enden können, scheint ein Nutzen kaum gegeben. Zumindest nicht auf den ersten Blick.

Warum aber paaren sich die Weibchen dann überhaupt mit mehreren Männchen, wenn sie einer "Vergewaltigung" durchaus widerstehen können? Hier kommt nun wieder die Kosten-Nutzen-Rechnung ins Spiel. Wird der Aufwand für die Abwehr größer als die möglichen Schäden durch eine geduldete Begattung, macht es wenig Sinn, sich zu wehren. Insofern, so folgern die Forscher, akzeptieren die Weibchen die ungewollte Paarung in dem Moment wohl als notwendiges Übel.

Übrigens: Als entscheidender Faktor für den Fortpflanzungserfolg stellte sich die Strandauswahl heraus. Am besten gebettet war der Schildkrötennachwuchs offenbar im leichten, hellen und daher kühleren Sand der Long Beach und South West Bay, denn hier schlüpften und überlebten die meisten Jungen – ganz egal eben, wie viele Männer im Leben ihrer Mutter eine Rolle gespielt hatten.

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