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Von Biochemie gesteuert?

Wie der Neurotransmitter Dopamin unser Leben prägt.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum manche Menschen konservativ wählen und andere liberal? Oder wieso nur bestimmte Menschen Künstler beziehungsweise Wissenschaftler werden? Weshalb wir so leicht nach etwas süchtig werden? Und warum die Leidenschaft in einer Liebesbeziehung mit der Zeit oft nachlässt?

Man mag es kaum glauben, aber eine einzige Substanz ist die Antwort auf all diese Fragen: Dopamin. Der Psychiater und Verhaltenswissenschaftler Daniel Lieberman erzählt in seinem Sachbuch gemeinsam mit dem Autor Michael Long auf knapp 300 Seiten, wie viele Bereiche unseres Lebens das Hormon steuert. Darunter sind Liebe, Sucht, Politik, Kreativität, Wahnsinn und Fortschritt.

Molekül der Erwartung

Dopamin, manchmal auch Glückshormon genannt, ist den Autoren zufolge das Molekül der Erwartung. Es ermöglicht uns, Entscheidungen zu treffen, die uns am Leben erhalten. Dabei verhalte es sich aber mitunter wie eine alte Dame, die aus Angst vor schlechten Zeiten ihre Vorratskammer schon 
mit unzähligen Packungen Knäckebrot vollgestopft hat – und trotzdem zur Sicherheit bei jedem Einkauf noch eine mitnimmt.

Während Dopamin vor allem Gefühle wie Vorfreude erzeugt, die auf die Zukunft gerichtet sind, erleben wir aktuelle Sinneseindrücke und Gefühle mit Hilfe anderer Neurotransmitter. Die Autoren nennen diese Substanzen daher »Hier-und-Jetztler«. Zu diesen gehören Serotonin, Oxytozin (das »Kuschelhormon«), Endorphine und Endocannabinoide (sozusagen das »Marihuana unseres Gehirns«). Verlieben wir uns, wird unser Körper mit Dopamin geflutet. Wir spüren Schmetterlinge im Bauch und sexuelle Lust. Nach und nach ändert sich die Gehirnchemie jedoch, die Aufregung weicht meist einer kameradschaftlichen Liebe, und es werden die Hier-und-Jetztler aktiv.

Weil sich ein Dopaminschub gut anfühlt, nehmen manche Menschen Drogen wie Kokain. Dabei wird eine Dopaminmenge freigesetzt, die der Körper natürlicherweise nie bekommt. Weder der Gedanke an den leckersten Hamburger noch die Vorfreude auf den tollsten Urlaub schaffen es, eine derartige Flut des Botenstoffs zu entfesseln. Das ist problematisch, weil so das fragile Gleichgewicht in unserem Gehirn gestört wird. Der Körper gewöhnt sich an die gigantische Dopamindosis – und verlangt nach immer mehr. Alle anderen Belange treten in den Hintergrund.

Während diese Zusammenhänge vielen Lesern bekannt sein dürften, sind jene im Buch erwähnten Effekte überraschender, die der Neurotransmitter auf unser Selbstvertrauen, unsere politischen Einstellungen und den gesellschaftlichen Fortschritt hat. Beispielsweise spornt Dopamin Menschen dazu an, neue Technologien zu erfinden.

 

Jedes Kapitel ist von zahlreichen Zwischenüberschriften unterteilt, die den Lesefluss leider nicht immer fördern. Das Werk präsentiert sich insgesamt gut verständlich, was unter anderem an der einfachen Sprache liegt, die Daniel Lieberman und Michael Long benutzen. Um die Zusammenhänge zu erklären, stellen sie diverse Studienergebnisse vor, bleiben dabei allerdings eher an der Oberfläche. Wer sich schon etwas auskennt, dem werden die Beschreibungen vermutlich nicht tief genug gehen.

Immer wieder wechselt das Autorenduo die Perspektive und berichtet dabei auch über persönliche Erfahrungen von Menschen. Ob es sich dabei um tatsächliche oder fiktive Personen handelt, bleibt unklar. So oder so wäre das Buch recht gut ohne ausgekommen, zumal die entsprechenden Passagen manchmal unnötig lang sind. Trotzdem schaffen es die Autoren, ihren Lesern neue Zusammenhänge zu vermitteln. Daher lohnt sich die Lektüre für alle, die das menschliche Gehirn besser verstehen möchten.

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