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Ökonomie: Geteilte Beute ist längere Beute

Leere Meere, leere Netze - ein Damoklesschwert hängt über der Menschheit und der Artenvielfalt des Planeten. Denn Überfischung bedroht die Ozeane und damit die Ernährung von Milliarden Menschen. Ließe sich über mehr Marktwirtschaft der Kollaps verhindern?
Fischfang vor Alaska
Es sah katastrophal aus für Alaskas Heilbutt-Fischerei zu Beginn der 1990er Jahre: Die Bestände waren erschöpft, die Fangzeiten drastisch eingeschränkt. Zehn Jahre zuvor durften die Seeleute noch fünf Monate hinaus aufs Meer fahren, um den begehrten Speisefisch aus der Familie der Schollen zu fangen. Nun war die Saison auf gerade einmal zwei Tage gekürzt worden, um noch zu retten, was von der Art nach über 100 Jahren Fischfang übrig war – eine fragwürdige Restriktion. Denn im Wettlauf gegen die Zeit, versuchten die Fischer so viel Fisch aus dem Meer zu holen, wie ihnen mit allen Mitteln möglich war.

Heilbutt | Pazifischer Heilbutt: Die Fischerei nach ihm stand Anfang der 1990er Jahre an Alaskas Gestaden kurz vor dem Kollaps. Eine Systemumstellung rettet ihn und die Fischer.
Sie riskierten bei Wind und Wetter ihr Leben und schonten weder Heilbutt noch andere Arten, die als Beifang an Bord gehievt und rasch wieder entsorgt wurden. An Land gerieten die Verarbeitungsfirmen im Gefolge der fragwürdigen Hausse an ihre Kapazitätsgrenzen: Mengen an Heilbutt mussten schockgefrostet eingelagert werden und büßten an Qualität ein, was die Preise drückte und das Einkommen der Fischer schmälerte. Einem ganzen Erwerbszweig drohte der Kollaps – es musste etwas geschehen.

Die Wende kam 1995: Jedem Schiff wurde nun eine individuelle Quote zugeteilt, die sich an wissenschaftlich festgelegten, maximal möglichen Fangmengen orientierte und die der Eigner ähnlich wie Aktien kaufen musste. Im Gegenzug besaß er die Garantie, dass er seinen Anteil auch abschöpfen kann und kein Konkurrent ihn übervorteilt. Denn zu viel gefangener Fisch ließ sich nur mit Abschlägen handeln, oder es mussten weitere Quoten von Fischern zugekauft werden, die ihre zugeteilte Menge nicht vollständig ausgenutzt hatten: ein teures Geschäft. Zugleich erwarben die Fischer Optionen auf die Zukunft – Überfischung bedeutete fallende Werte für die Anteilsscheine. Sie hatten also ein langfristiges Interesse an gesunden und stabilen Beständen, die jährlich gute Erträge und – im übertragenen Sinne – Zinsen abwarfen.

Individuelle Quotensysteme weltweit | Weltweit finden sich Fischereien, die individuelle Quoten an die Seeleute verteilen – die meisten davon in Neuseeland, Island und Tasmanien. Diese Gebiete schnitten deutlich besser im Bestandsschutz ab als konventionell bewirtschaftete.
Ganz anders ist dagegen das System der Europäischen Union aufgebaut: Wissenschaftler empfehlen zwar auch hierzulande Quoten, an die sich die Politik jedoch zumeist nicht hält. Die zuständigen Minister legen stattdessen für jede Art und jedes Fanggebiet die fischbare Gesamtmenge fest, die meist über der vorgeschlagenen liegt, und teilen sie auf die einzelnen Mitgliedsstaaten auf. In der folgenden Fangsaison haben dann im Prinzip alle Boote während der Fangsaison Zugang zu den Beständen, was dazu führt, dass sich die Fischer überwiegend nicht dafür verantwortlich fühlen und das Meer geplündert wird.

Diese Art des Fischereiwesens habe dazu geführt, dass ein Drittel der damit ausgebeuteten Meeresbereiche vor dem Aus stehen, meinen daher Meeresökologen und Ökonomen um Christopher Costello von der University of California in Santa Barbara. Bis 2050 könnten bis auf wenige Ausnahmen sogar alle wichtigen Fanggründe erschöpft sein, warnte bereits 2006 eine andere Studie. Dies könne verhindert werden, wenn individuelle Quoten eingeführt würden, schätzt dagegen Costellos Team, nachdem sie mehr als 11 000 Fischereidatensätze aus der Zeit zwischen 1950 und 2003 analysiert hatten.

So steht nur jedes sechste der 121 individuell regulierten Areale vor dem Kollaps – der Anteil ist damit um die Hälfte kleiner als bei konventionell zugänglichen Gebieten. Diese Art der Quotenregelung ist zudem noch relativ jung und wurde in vielen Regionen erst eingeführt, als Sardine, Hering oder Heilbutt kurz vor dem wirtschaftlichen Exitus standen: Niedrige Fangzahlen können daher noch Ausdruck des vorherigen Raubbaus sein. Immerhin, so die Wissenschaftler, erholt sich ein Teil der neu quotierten Bestände bereits wieder, seit das Anteilssystem eingeführt wurde. Und es funktioniert in so unterschiedlichen Regionen wie vor Mexiko, Island oder Neuseeland.

Heringsfischerei vor Alaska | Individuelle Quoten sorgen vor Alaska dafür, dass die Fischer auch Optionen auf die Zukunft erwerben. Sie haben ein langfristiges Interesse, ihren "Besitz" rentabel und lukrativ zu halten.
Um Strafzahlungen oder Zukäufen an Zertifikaten zu entgehen, legen viele Fischer zudem Wert darauf, dass sie möglichst zielgerichtet die Beute aus dem Wasser holen und Beifang vermeiden. Deshalb investieren sie mehr in entsprechend selektierende Ausrüstung, was wiederum den Erfindergeist der Hersteller anstachelt. Am Ende gewinnen die Fischer und die Natur: "Es ist wie der Unterschied zwischen einer Mietwohnung und dem eigenen Haus – was einem selbst gehört, wird gepflegt, damit es nicht im Preis verfällt", meint Costello. Allerdings müsse bei der Einführung des Systems unbedingt auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Strukturen vor Ort geachtet werden – was vor Alaska funktioniert, muss nicht unbedingt gut für Peru sein.

Für die Heilbutt-Fischer im Nordostpazifik hat sich die Umstellung auf individuelle Anteilsscheine jedenfalls gelohnt: Sie dürfen nun wieder acht Monate lang fischen. Und weil sie über die lange Zeit stets frische, unbeschädigte Ware liefern können, stieg der Preis dafür beträchtlich an, erläutert der Koautor Steven Gaines: "Früher kamen die Heilbutt-Fischer kaum über die Runden – heute ist ihr Gewerbe wahnsinnig profitabel."

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  • Quellen
Costello, C. et al.: Can Catch Shares prevent Fisheries Collaps? In: Science 321, S. 1678–1681, 2008.

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