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Schnittblumen: Pestizid-Cocktail im Blumenstrauß

Am Valentinstag floriert das Geschäft mit Blumen. Doch in den hübschen Sträußen stecken meist große Mengen an Pestiziden. Woher kommen sie, und was sind die Alternativen?
Auf einem Tisch liegen mehrere bunte Sträuße mit Hortrensien, Rosen, Pfingstrosen und anderen Blumen.
Schnittblumen, insbesondere Rosen, sind oft stark mit Pflanzenschutzmitteln belastet.

1 334 230 011 – so viele geschnittene Rosen importierte Deutschland im Jahr 2022, damit die Bürger mit ihnen ihre Liebsten beglücken oder den eigenen Esstisch schmücken konnten. Für 2023 gibt es noch keine Zahlen, aber es ist anzunehmen, dass die Menge in etwa gleich geblieben ist. Ein nicht unerheblicher Teil davon dürfte am Valentinstag über den Ladentisch gehen, schließlich gehören Blumensträuße zu den beliebtesten Geschenken an diesem Tag. Im Februar lässt sich die Sonne, wenn überhaupt, nur kurz blicken, da haben viele Menschen eine regelrechte Sehnsucht nach den leuchtenden Blüten. Allerdings schlagen Umweltschutzorganisationen regelmäßig Alarm angesichts der angeblich gravierenden Folgen der Floristik für Gesundheit und Umwelt. Was hat es mit diesen Warnungen auf sich?

Die hier zu Lande verkauften Schnittblumen haben meist eine weite Reise hinter sich. Gerade die beliebten Rosen stammen im Winter in aller Regel aus Afrika. So wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022 allein aus Kenia rund 7800 Tonnen Schnittblumen nach Deutschland gebracht, aus Äthiopien knapp 1200 Tonnen. Edwin Musungu, Leiter der Frachtdienste der Flughafen-Servicegesellschaft Swissport in Nairobi, erwartet, dass 2024 schon bis Mitte Februar rund 9000 Tonnen Blumen über den so genannten Flower Corridor von der kenianischen Hauptstadt nach Europa geflogen sein werden – die meisten davon für den Valentinstag.

Sieht man sich die Einfuhrstatistik an, fällt auf, dass die mit Abstand größte Menge aus unserem Nachbarland, den Niederlanden, nach Deutschland kommt. Allerdings täuschen die Zahlen, denn die 166 000 Tonnen »holländische« Schnittblumen sind nicht unbedingt auch dort gewachsen. Das eigentliche Ursprungsland ist oft nicht nachvollziehbar – eine Pflicht zur Deklaration gibt es nicht. Die Niederlande beziehen selbst große Mengen floristischer Güter aus Nicht-EU-Ländern, tauchen aber, sobald sie die Ware weiterverkaufen, in der Statistik als Quellland auf. Laut einer Erhebung des Statistischen Amts der Europäischen Union »Eurostat« exportierten die Niederlande im Jahr 2020 rund 514 000 Tonnen an andere EU-Länder, bezogen aber gleichzeitig etwa die Hälfte der Menge aus Staaten außerhalb der EU.

Schnittblumen unter der Giftdusche

Blumenprodukte, die in die Europäische Union eingeführt werden, müssen in puncto Aussehen und Gesundheit strenge Anforderungen erfüllen. EU-Verordnungen legen genau fest, wie die Pflanzen geschnitten sein sollen, wie weit die Blüte entwickelt sein muss und wie viele Schadstellen sie haben darf. Außerdem schreiben sie vor, dass die Blumen frei von Parasiten sind. Man will sichergehen, dass keine Schädlinge oder neue Pflanzenkrankheiten eingeschleppt werden. Um das zu erfüllen, setzen die Erzeuger oft verschiedenste Pestizide ein. »In der Blumenproduktion im globalen Süden werden zahlreiche und zum Teil gefährliche Gifte gespritzt«, sagt Corinna Hölzel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). »Darunter sind auch Insektizide und Fungizide, die in der EU auf Grund ihrer Gefährlichkeit verboten sind.« Denn anders als für Schädlinge gibt es für die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf Schnittblumen keine rechtlichen Regelungen. Solche existieren lediglich für Blüten, die in Tees oder medizinischen Aufgüssen landen.

In einer Übersichtsarbeit von 2021 sichtete ein Team um die Biologin Patrícia Pereira von der Cidade Universitária in Rio de Janeiro insgesamt 92 Studien zu Pestiziden in der Blumenproduktion. Dabei wurden auf vier Kontinenten 201 verschiedene Pflanzenschutzmittel in Schnittblumen gefunden, von denen 93 in der EU verboten sind. Knapp die Hälfte der verbotenen Stoffe steckten in Proben aus EU-Ländern. Dabei handelte es sich vor allem um Mittel gegen Insekten, Pilze und Milben, aber auch gegen Unkraut, Fadenwürmer, Schnecken und Bakterien. Die am häufigsten gefundenen Substanzen stammten aus den Stoffgruppen der Organophosphate, Carbamate, Triazole und Pyrethroide.

Bedeutung für die Gesundheit

Auch das Verbrauchermagazin »Öko-Test« fand 2023 in allen der 21 getesteten Rosensträuße teils erhebliche Mengen an Pestiziden, unter anderem in solchen mit Fair-Trade-Siegel. Auf drei Vierteln der Sträuße befanden sich Spritzmittel, deren Anwendung in der EU verboten ist, etwa das laut Europäischer Chemikalienagentur (ECHA) vermutlich Krebs erregende Insektizid Thiacloprid und das Fungizid Carbendazim, das im Verdacht steht, das Erbgut zu verändern. Allgemein gehört die Rose – die beliebteste Blume der Deutschen – zu den am stärksten belasteten Schnittblumen auf dem deutschen Markt.

Welchen Einfluss haben diese Chemikalien auf die Gesundheit der Farmarbeiter, Blumenhändler und Käufer? Nach dem »global harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien« (GHS) gelten 17 der 201 gefundenen Pestizide als potenziell tödlich, wenn sie in hoher Konzentration eingeatmet werden. 25 sind möglicherweise krebserregend, 43 können die Atemwege und 21 die Fortpflanzungsorgane sowie Embryonen schädigen.

»Von den in Deutschland gehandelten Schnittblumen sind gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu erwarten«Bundesinstitut für Risikobewertung

Am wenigsten in Kontakt mit den Substanzen kommen wahrscheinlich diejenigen Menschen, die die Sträuße lediglich auf ihren Tisch stellen. Deshalb gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auch Entwarnung für die Käufer: Es kommt »zu der Einschätzung, dass von den in Deutschland gehandelten Schnittblumen gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu erwarten sind«, wie es in einer Stellungnahme von 2021 heißt. Gleiches gelte für das Personal von Blumenläden, sofern es die empfohlenen Hygienestandards einhalte. Damit ist vor allem das Tragen von Handschuhen gemeint sowie die strikte Trennung von Lebensmitteln und Pflanzenmaterial.

Wie wichtig Schutzkleidung im Umgang mit Schnittblumen ist, demonstrierte im Jahr 2017 eine Gruppe um Khaoula Toumi vom Pesticide Science Laboratory der Universität Lüttich. Das Team ließ 20 freiwillige Floristinnen und Floristen während der Arbeit mit Blumensträußen Baumwollhandschuhe tragen. Nach zwei bis drei Stunden extrahierten die Fachleute sämtliche an den Handschuhen haftenden Pflanzenschutzmittel. Dabei fanden sie insgesamt 111 verschiedene Pestizide, allen voran Fungizide und Insektizide.

Pflanzenschutzmittel im Urin

In einer weiteren Studie analysierten Toumi und ihr Team Urinproben vom Personal belgischer Blumenläden. Sie sammelten die Proben von 14 Freiwilligen über jeweils 24 Stunden an drei Zeitpunkten im Jahr, an denen üblicherweise eine besonders hohe Arbeitslast auftritt: zum Valentinstag, zum Muttertag und an Allerheiligen. Gleichzeitig untersuchten sie den Urin von ebenso vielen Kontrollprobanden, die nichts mit Blumenhandel zu tun hatten. Bei beiden Gruppen waren in nahezu allen Proben Rückstände von Pestiziden zu finden, wobei der Urin der Floristen eine deutlich größere Zahl an Substanzen enthielt. Auch die Konzentrationen der einzelnen Stoffe waren beim Fachpersonal signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Handschuhe hatte während der Arbeit niemand getragen.

Ein besonders hohes Gesundheitsrisiko ist für jene Menschen zu erwarten, die auf den Blumenfarmen arbeiten. Tatsächlich weisen zahlreiche epidemiologische Untersuchungen darauf hin, dass bestimmte Erkrankungen gehäuft bei Plantagenarbeitern auftreten, etwa Störungen des Nerven- und Hormonsystems, Zellschäden, Fortpflanzungsstörungen und Missbildungen. Da es sich um rein korrelative Studien handelt, ist allerdings die genaue Ursache in der Regel nicht eindeutig zu bestimmen.

Auch die Umwelt leidet

Pflanzenschutzmittel, die in Blumenanbaugebieten gespritzt werden, gelangen häufig über den Regen in umliegende Gewässer und ins Grundwasser – mit gravierenden Folgen für das Ökosystem. So ergaben Analysen vom Ziway-See in Äthiopien, dass vor allem in der Nähe von Blumenfarmen Pestizide in teils hohen Konzentrationen im Wasser zu finden sind. Darunter auch solche, die in der EU im Pflanzenbau verboten sind. Über das Trinkwasser und landwirtschaftliche Produkte ist die lokale Bevölkerung den Stoffen daher dauerhaft ausgesetzt.

»Es ist besser, im Winter Blumen zu verschenken, die zu dieser Zeit ohne zusätzlichen Energiebedarf in Mitteleuropa blühen«Wolfdietrich Peiker, Klimaschutz-Organisation »Atmosfair«

Was also tun, wenn man am Valentinstag seine Liebste oder seinen Liebsten mit einem Blumenstrauß überraschen will? Grundsätzlich solle man vor allem regional und saisonal kaufen, empfiehlt Wolfdietrich Peiker von der Klimaschutz-Organisation »Atmosfair« gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. »Es ist besser, im Winter Blumen zu verschenken, die zu dieser Zeit ohne zusätzlichen Energiebedarf in Mitteleuropa blühen, wie beispielsweise Christrosen oder Lenzrosen.« Auch Frühblüher wie Krokusse oder Hyazinthen sowie Zweige von Kirsche oder Forsythie könnten eine Alternative sein.

Soll es dennoch ein Strauß aus Übersee sein, kennzeichnen Fairtrade-Siegel Blumen, die nach sozialen und ökologischen Standards gezüchtet wurden, wobei auch hier Schadstoffe offenbar nicht ausgeschlossen werden können. Bio-Siegel zeigen an, ob die Pflanzen aus kontrollierter biologischer Landwirtschaft stammen. Corinna Hölzel vom BUND rät zudem, auf das Slowflower-Siegel zu achten. Floristen der Slowflower-Bewegung verkaufen nur, was aktuell in der Region wächst. Die Produkte mögen zwar teurer sein – für einen pestizidfreien Liebesbeweis ist es das vielen aber sicherlich wert.

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