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»Was macht KI mit unserer Sprache?«: Und täglich grüßt ChatGPT

Welche Folgen hat die zunehmende Verbreitung von KI-Anwendungen für unseren Alltag, unsere Kommunikation? Alarmismus hält Christoph Drösser bei der Beantwortung dieser Frage ebenso wenig für angebracht wie blindes Vertrauen in diese neue Technologie. Ein kluges Büchlein.
Verschlüsseltes Wissen

Die TU München darf einen Studienbewerber ablehnen, der seine Bewerbung mit Hilfe künstlicher Intelligenz verfasst haben soll. Unis und Schulen zeigen sich ratlos, weil KI-Anwendungen für Schüler und Studierende Aufsätze schreiben und Aufgaben lösen. Deutschsprachige Übersetzer warnen vor einer »Technologie mit systemischem Risiko«, die sie brotlos machen könnte. Rechtsanwälte, Versicherer, Journalisten und andere fürchten, überflüssig zu werden. Täglich grüßt ChatGPT … Alles nur Alarmismus?

Ganz so einfach ist die Antwort nicht. Man sollte sich erst einmal kundig machen, wie »Large Language Models« (LLM) und ChatGPT funktionieren, was sie können und wo – noch – ihre Grenzen sind. Diesen unverzichtbaren Beitrag leistet Christoph Drösser auf knapp 90 Seiten mit seinem Buch.

Eine reale Chance, den alten Traum von sprechenden Maschinen zu verwirklichen, hatte erstmals 1966 Joseph Weizmanns Programm ELIZA, das nahe daran war, den »Turing Test« zu bestehen. Die Grundlagen dafür hatte Claude Shannon 1948 im Aufsatz »Mathematical Theory of Communications« gelegt. Dessen Idee war es, die Kombinationshäufigkeit von zwei, drei Wörtern beziehungsweise die Häufung immer wiederkehrender Wortgruppen zu untersuchen. Was ihm damals rudimentär gelang, ist für leistungsstarke Bots inzwischen Alltag: Sie können das »gesamte Umfeld« von Wörtern untersuchen und diese dann kombinieren. Noch hätten diese neuen Techniken nur rudimentäre Auswirkungen auf unsere Sprache, meint Drösser. Aber er warnt davor zu glauben, KI-Anwendungen würden »niemals diese oder jene Fähigkeit haben«. Ihre Entwicklung ist rasant: »Lesen Sie dieses Büchlein schnell – morgen könnte es veraltet sein.«

Drösser hat ChatGPT auf die Probe gestellt. Alle Anfänge der Kapitel sind vom Bot geschrieben, Dialoge zwischen diesem und ihm lockern den Text auf. Sie zeigen, was die Maschine kann: Fragen beantworten, Texte zusammenfassen, Wochenspeisepläne einschließlich Einkaufslisten zusammenstellen, Gute-Nacht-Geschichten erfinden et cetera. Perfekt gelingt dem Bot ein Quiz in den Bereichen Sport, Medien und Videospiele für die Geburtstagsfeier von Drössers Zwölfjährigem. War »das wirklich ein Akt der Zuneigung zu meinem Kind?«, fragt sich der Autor selbstkritisch.

KI bringt massive Veränderungen, hat aber auch ihre Grenzen

Inzwischen durchdringt ChatGPT Schulen und Unis, sogar manche Anforderungen auf dem Niveau der Harvard University erfüllt das Programm. Die Studentin Maya Bodnick hat die KI für verschiedene Erstsemesterfächer Aufsätze schreiben und die Ergebnisse von Lehrkräften beurteilen lassen. Diese konnten nicht unterscheiden, ob die KI oder Studierende die Verfasser waren. Die »Noten rangierten von einer glatten 1 bis zu einer 2 minus«. Trotzdem, so Drösser, spiegelt ChatGPT nur vor, »Texte zu lesen und zu verstehen«. Lehrkräfte müssten daher lernen, mit den Bots umzugehen und sich Zeit nehmen, Schüler anzuleiten, wann es sinnvoll ist, die KI um Hilfe zu bitten, und wann nicht. Eine massive Änderung im Unterrichtsstil sei zu erwarten.

Was macht also KI mit unserer Sprache? Chatbots sind sehr fehleranfällig, sie antworten baren Unsinn auf Fragen, für die sie mit keinerlei Information »gefüttert« wurden – denn sie antworten immer. Im Umgang mit ihnen kommt es auf die »Prompts« an – auf die Qualität der Fragen, die man der Maschine stellt, und die Anweisungen, die man ihr für deren Bearbeitung gibt. Inzwischen übernehmen das oft »Prompt Engineers« – hier öffnet sich ein ganz neues Berufsfeld. Und man müsse die Ergebnisse der KI-Anwendungen kritisch beleuchten, so der Autor.

Denn die KI-Sprachfähigkeit sei nicht mit der menschlichen vergleichbar. Sie basiere nur auf Syntax, kenne keine Semantik. Man müsse sich davor hüten, alles zu glauben, was sie antwortet. Sie sei zu keinem Sprechakt, auch zu keinem absichtlichen Handeln fähig. Ihr fehle das, was uns als Menschen ausmacht: die gesättigte sinnliche und geistige Lebenserfahrung. Maschinen versagten zudem vollends bei Humor, Witz und Ironie, so Drösser. Und wenn die Modelle demnächst wegen rechtlicher Einschränkungen nur mit Sprachergebnissen anderer Maschinen »gefüttert« würden, könnten sie in ihrer Sprachentwicklung verarmen: Fachleute sprechen von einem »model collapse«.

Man merkt dem Büchlein die langjährige Erfahrung des Wissenschaftsjournalisten an, der regelmäßig mit seiner Kolumne »Stimmt’s?« Alltagsfragen kompakt und verständlich beantwortet. Damit wir nicht zu »kleinen ChatGPTs« werden, empfiehlt uns Drösser zum Schluss: »möglichst viel selbst lesen und selbst schreiben«. Ärgerlich ist aber, wie schlampig der Verlag das Bändchen gebunden hat: Schon nach der Lektüre des halben Büchleins fiel (zumindest beim Rezensenten) die Bindung auseinander, sodass er einzelne Seiten in der Hand hielt. Trotz dieses herstellerischen Mangels: Inhaltlich ist Drössers Buch sehr gelungen.

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